Die Thüringer Sintflut (1613)

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Über den Autor
Alexander Blöthner M. A. (phil.), gebürtig in Plothen bei Schleiz, hat an der Universität Jena ein ›Studium Generale‹ mit Schwerpunkt auf Geschichte und Soziologie absolviert und verfasst Bücher über Lebensphilosophie, Sagen, Orts- und Regionalgeschichte, Landschaftsmythologie als auch Alltags-, Sozial- und Wirtschaftsgeschichte. Autorenwebseite: Sagenhafte Wanderungen

Eine Katastrophe bislang ungekannten Ausmaßes, die sich selbst in den nachfolgenden 400 Jahren in Mitteldeutschland nicht wiederholte, war die Thüringer Sintflut von 1613. Sie bildete den Abschluß einer ganzen Folge von Orkanen, harten Wintern, Missernten mit Hungersnöten und Epidemien in dem Zeitraum von 1560 bis 1610, welche die Menschen derart in Verzweiflung und Misstrauen brachten, so daß sich eine gefährliche Weltuntergangsstimmung verbreitete, die neben anderen Gegebenheiten den Nährboden für die Kriege in der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts, wie den Dreißigjährigen Krieg, bilden sollte.1
»Der Winter von 1612 zu 1613 war äußerst gelind gewesen, hatte nur wenig Schnee gebracht und schon nach Neujahr wehte die Luft so warm, daß im Januar an vielen Orten der Raps und die Obstbäume in voller Blüte standen. Auch die nächstfolgenden Monate verhießen ein äußerst fruchtbares Jahr.«2 Dann folgte eine große Trockenheit; wochenlang regnete es nicht. Gegen Ende Mai überzog sich der Himmel dann mit einem nebelähnlichen Dunst. »Das Blau war verkümmert und einer schwefelig-gelben Masse gewichen. Die Luft war eine zähe Masse, die sich nicht mehr einatmen ließ. Bleigraue Wolkenbänke zogen in die Höhe. Ein unheimliches Farbenspiel zeichnete sich am Himmel ab, das sich beständig veränderte«.3 Wie der Weimarer Pastor und spätere General-Superintendent Dr. Abraham berichtet, türmten sich am Samstage vor Trinitatis [29. Mai] bald nach der Mittagsstunde die Wetterwolken ganz merkwürdig aufeinander und nahmen den gesamten Himmel ein. Wie große Heere, die aufeinandertreffen wollen, standen sich die Gewölke dabei gegenüber. »Nach 4 Uhr begann ein unaufhörliches Donnern, doch ohne harte Schläge; nach 5 Uhr erhob sich in den Wolken ein beängstigendes Brausen, der Vorbote des Hagels. Jetzt öffneten sich die Schleußen des Himmels zu einem gewaltigen Regen,«4 untermischt mit Hagelkörnern, die mancherorts die Größe von Hühnereiern erreichten und nicht nur alle Feldfrüchte vernichteten, sondern auch die Schindeln auf den Dächern durchschlugen und sogar in den Ställen stehendes Großvieh töteten. »Bei dem Hagel ist es aber nicht geblieben, sondern es sind von abends sechs bis zum nächsten Morgen früh um drei Uhr so grelle Blitze mit furchtbaren Donnerschlägen aufeinander gefolgt. Dazu hat sich während dieser neun Stunden ein so heftiger Platzregen ergossen, daß man nicht anders gemeint hat, das Ungewitter werde der Welt den Garaus machen und es sei die letzte Stunde gekommen. Die Lufterschütterung von den noch nie in dieser Heftigkeit gehörten Donnerschlägen war so stark, daß davon am Schloßgraben zu Weimar zwei Häuser einstürzten. Bald wälzten sich gewaltige Wassermassen nicht allein in der Ilm, sondern in allen Gräben und Wegen auf die Stadt zu und das Wasser strömte zu dem Erfurter Tore so hoch herein, daß niemand weder zu Fuß noch zu Roß aus- oder einkommen konnte. Alle Straßen waren überflutet, das Wasser drang in die Keller und unteren Stockwerke der tiefer gelegenen Häuser ein«5 und stürzte in den Gewölben selbst die schwersten Fässer um. Die wilden Wassermassen führten Bauholz, Mühlwellen und starke Bäume mit sich und schleuderten diese mit solcher Gewalt gegen die Häuser, daß viele davon einstürzten und die Einwohner unter sich begruben. »Das Schrecklichste bei dem Unglück war, daß dasselbe seine größte Heftigkeit zur Nachtzeit entwickelte, so daß niemand dem anderen zu Hilfe kommen konnte. Erst bei Tagesanbruch war sich einigermaßen ein Überblick darüber zu verschaffen, wie schrecklich das Unwetter gehaust hatte. Die Wiesen waren größtenteils verschlämmt, in den Obstgärten waren die Bäume ausgerissen und die Felder waren verwüstet und teilweise von tragbaren Boden so entblößt, daß sie Steinbrücken ähnlich sahen. Groß war besonders der Schaden, den das Wasser an den Gebäuden angerichtet hatte. In Weimar waren 44 Wohnhäuser eingestürzt und mitweggeführt, in den Ilmdörfern – und auch in Ortschaften an ganz unbedeutenden Bächen – waren die Gebäude zum Teil sehr hart mitgenommen worden, denn man zählte in den weimarischen Ortschaften zusammen 408 Wohnhäuser – Scheunen und Ställe also ausgeschlossen – welche gänzlich eingestürzt und weggeführt waren, daneben war aber eine bedeutend größere Zahl so arg beschädigt, daß sie nicht mehr reparaturfähig waren, sondern abgebrochen werden mußten. 192 Menschen hatten ihr Leben eingebüßt. Davon kamen auf die Stadt Weimar allein 65. Das Wasser war fast allenortens mit großer Gewalt und in solcher Menge eingebrochen, daß aus den Ställen das Vieh nicht hatte herausgebracht werden können. Die angestellte Ermittlung ergab, daß 2.050 Stück Vieh ertrunken waren. … Aber nicht bloß auf das Weimarische Land erstreckte sich das Unwetter, auch Gotha, Langensalza und viele andere Orte wurden schwer heimgesucht. Von der Saale bis zum Harz dehnte sich das verhängnisvolle Gewitter aus.«6 Das vorindustrielle Rückrat des Landes, die Wassertriebwerke an den Bach- und Flussufern wurde schwer beschädigt und eine ganze Reihe von Mühlenanwesen restlos zerstört.7 Noch im 18. Jahrhundert erinnerten in einigen damals betroffenen Orten die Pfarrer alljährlich am 1. Sonntag nach Trinitis im Nachmittagsgottesdienst mit einer Gedenkfeier, an diese entsetzliche Wasserflut.


1 Vgl. Hubert Lamb: Klima und Kulturgeschichte – Der Einfluß des Wetters auf den Gang der Geschichte, Hamburg 1994
2 Nach Julius Constantin Kronfeld: Landeskunde des Großherzogtums Sachsen-Weimar-Eisenach, Erster Teil: Die Topographie des Landes, Weimar 1878, S. 333
3 Bernd Stephan: Katastrophen in Thüringen, Taucha 2008, S. 36-44
4 Nach Kronfeld 1878, S. 333
5 Nach Ebenda, S. 333f.
6 Nach Ebenda, S. 334f.
7 Vgl. Volker Reetz: Das obere Saaletal in Vergangenheit und Gegenwart, in: Ziegenrücker Hefte 1, Mühltroff 1981

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