„Das Prophezeien von Horrorszenarien war schon früher ein lukratives Geschäft“

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Anlässlich der Neuerscheinung Wetterextreme im Reußischen Oberland“ des Historikers Alexander Blöthner führten wir mit dem Autor ein kurzes Interview zu diesem Thema.

HalloOberland: In Ihrem Buch beschreiben Sie neben den Wetterextremen auch die Auswirkungen, welche diese auf die Gesellschaft und die politische Entwicklung hatten. So konnte beispielsweise in Folge eines Dürresommers eine Hungersnot ausbrechen, die zu Unruhen in der Bevölkerung führte. Wie groß ist heutzutage denn die Gefahr, dass durch Wetteranomalien politische und gesellschaftliche Verwerfungen entstehen?

Alexander Blöthner: Vor der industriellen Revolution waren die Menschen noch weitaus stärker von Wetteranomalien betroffen. Damals konnte eine ausgefallene Ernte schlechter kompensiert werden als heutzutage, wo industrielle Lebensmittelproduktion, die Möglichkeiten der Lebensmittelkonservierung und optimierte Transportwege dazu führen, dass, wenn eine Hungersnot ausbricht, diese oft politische Ursachen hat und nicht auf Umwelteinflüsse zurückgeht. Nichtsdestotrotz können Naturkatastrophen auch heute noch die gesellschaftliche Ordnung erschüttern. Als jüngstes Beispiel sei hier die Flutkatastrophe in Rheinland-Pfalz und Nordrhein-Westfalen 2021 genannt, welche nicht nur bei den Betroffenen zu einem massiven Vertrauensverlust in Politik und Katastrophenschutz führte. Häufen sich solche Katastrophen oder geschehen sie zeitgleich zu einer aufgeheizten, politischen Gemengelage, können sie durchaus das Fass mit zum Überlaufen bringen. Derartiges ist in der Geschichte schon mehrfach vorgekommen. Nur wenige wissen, dass selbst den großen Revolutionen von 1789 und 1848 klimatische Extremperioden verbunden mit Hungersnöten vorausgegangen waren, die dann wie Katalysatoren wirkten.

In Regierungskreisen scheint man sich dahingehend einig zu sein, dass der menschengemachte Klimawandel die Hauptursache für Wetteranomalien ist und dieser mit einer höheren Steuerlast gebremst werden kann. Droht uns eine Klimakatastrophe, wenn wir jetzt nicht gegensteuern?

Ich bin kein Klimaforscher, sondern Historiker. Ob und inwiefern dieses oder jenes Wetterereignis menschengemacht ist, wage ich nicht zu beurteilen. Was ich aber sagen kann ist, dass das Prophezeien von Horrorszenarien schon früher ein lukratives Geschäft war. Besonders dann, wenn der Unheilsverkünder auch gleichzeitig eine Lösung für das Problem parat hatte. Leider hat sich daran bis heute nicht viel geändert.

Geht es um das Wetter, scheinen manche Medien ja ein unerschöpfliches Arsenal an Superlativen zu haben. So kommt es gefühlt mittlerweile jährlich zu einem „Jahrhundertereignis“ – entweder in Form eines Hitze-Sommers, einer Mega-Flut oder eines Rekord-Winters. Häufen sich diese Wetterextreme tatsächlich?

Wie in meinem Buch näher beschrieben, gab es in der Geschichte immer wieder Zeiträume, in denen klimatologische Extreme innerhalb weniger Jahre kumulierten, sei es durch gigantische Aschewolken nach Vulkanausbrüchen oder durch die Verminderung von Sonnenflecken etwa zu bestimmten Dekaden während der so genannten „Kleinen Eiszeit“ zwischen 1550 und 1850.

Können Sie hierfür ein Beispiel nennen?

Zunächst einmal finde ich die Klassifizierung „extrem“ für wirklich jedes, außerhalb der Regel fallendes Wetter-Ereignis für zu inflationär gebraucht. Unsere Großeltern erinnern sich vielleicht noch an „Extrem-Ereignisse“ wie das Schicksalsjahr 1946/47 mit seinem tödlich blauen Himmel und hörten ihre Eltern wiederum von dem Jahrhundertwinter von 1928/29 mit langanhaltenden Niedrigtemperaturen von unter -30⁰C erzählen . Wirkliche „Extremst“-Perioden, z.B. mit gleich mehreren „Jahren ohne Sommer“ und monatelangen winterlichen Tiefsttemperaturen hintereinander haben selbst die Urgroßeltern unserer Urgroßeltern nicht erlebt. Als sich etwa im Jahre 531 nach Christi nach dem Untergang des Thüringerreiches durch einen Vulkanausbruch für mehr als 14 Jahre der Himmel verfinsterte und die Zivilisation im mitteldeutschen Raum faktisch zusammenbrach, kann man aus heutiger Perspektive sogar von einem klimatologischen „Extremst-Ereignis“ sprechen, wenn auch mit einem statistischen Wiederkehrwert von mehreren tausend Jahren.

Kommen wir zum Schluss noch einmal auf unsere zweite Frage zurück. Wie betrachten denn nun eigentlich die Historiker die derzeitige Debatte um den Klimawandel?

Darüber kann ich selbstredend keine verallgemeinerte Aussage treffen, wohl aber möchte ich auf das Postulat des Klimaforschers Rüdiger Glaser aufmerksam machen, der schon vor 20 Jahren, also noch vor Beginn der Klima-Debatte, in seinem Fundamentalwerk zur Klimageschichte Mitteleuropas dazu mahnen musste, dass nicht das aus heutiger Sicht hydrologisch und klimatologisch Wünschenswerte, sondern das aus den historischen Daten Mögliche zum Prinzip zu erklären sei.

Vielen Dank für das Gespräch.

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