Von altem Brauchtum: Fastnacht, Veilchendienstag

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Über den Autor
Alexander Blöthner M. A. (phil.), gebürtig in Plothen bei Schleiz, hat an der Universität Jena ein ›Studium Generale‹ mit Schwerpunkt auf Geschichte und Soziologie absolviert und verfasst Bücher über Lebensphilosophie, Sagen, Orts- und Regionalgeschichte, Landschaftsmythologie als auch Alltags-, Sozial- und Wirtschaftsgeschichte. Autorenwebseite: Sagenhafte Wanderungen

In dieser ›Nacht vor dem Fasten‹ verbrauchte man früher die letzten Vorräte, die aufgrund der strengen Fastenregeln der Kirche anschließend nicht mehr verzehrt werden durften. Wie kaum ein anderes beruht auch dieses Fest auf dem heidnischen Fruchtbarkeitskult der europäischen Waldlandvölker. So begingen die Germanen um diese Zeit ein Fest zu Ehren ihrer Erdenmutter lat.: Herthum, germ.: Erda, nord.: Jörd]. Dazu vertrieben sie die Geister des Winters und begrüßten die Kräfte des Frühlings. »Schon Bonifatius, der angelsächsische Missionar und sogenannte Apostel der Deutschen, der die heiligen Eichen umhauen ließ, verdammte in der Synode von Liftinae in Belgien (745) diese ›unflätigen Feste im Februar‹.«1 Überreste dieses heidnischen Fruchtbarkeitszaubers (ahd.: fas ≙ sich vermehren, mhd.: vaselnen ≙ gedeihen, fruchtbar machen) finden sich im bäuerlichen Brauchtum für diesen Tag zuhauf. »Alles, was in diesen Tagen und Wochen getan wurde, war darauf berechnet, die Wachstumskräfte in der Natur wachzurufen.«2 Wollte man die vielen Arbeiten, die am Fastnachtstage als besonders glückverheißend galten, zu Ende bringen, mußte man früh schon gegen vier aufstehen. Vor Sonnenaufgang, andernorts zu Mittag, mußte das Haus gekehrt sein, damit im Folgejahr keine Flöhe hineinkommen sollten. Die Hühner werden an diesem Tag in einem Ring oder in einem Reifen gefüttert, damit sie nicht in Nachbars Nest legen. Aus demselben Grund baute man auch besondere Hühnernester. Sowohl der Hühnerstall als auch der Taubenschlag müssen heute ausgemistet werden. In jedem Haus werden Pfannkuchen gesotten und wer keinen ißt, der bleibt ein dummer Esel. Zu Mittag darf man keine Häcksel schneiden und nichts Gelöffeltes essen, sonst stechen einen das ganze Jahr über die Mücken. Am Nachmittag des Fastnachtstages werden traditionell Garbenbänder [Strohseile für die Erntezeit] gedreht. Man glaubte, die Fastnachtsbänder hielten am besten und brächten den meisten Segen. Dabei wird versucht, jemanden, meist ein Kind, zum Nachbarn zu schicken, um die ›Bänderschere‹ zu holen. Der Nachbar kann sich das Lachen dann kaum verkneifen, sagt aber mit ernster Miene: ›Warte einmal, sie muß irgendwo im Schuppen liegen!‹. Dort hört man es bald rumpeln und poltern, denn der Nachbar füllt einen Sack mit allerlei Alteisen, damit sich das Kind auf dem Heimweg recht plagen muß. Emsig läuft es dann nach Hause und wie es die Bänderschere auspacken will, ist nur lauter Gerümpel drin. Als es nun merkt, daß es gefoppt worden ist, bricht das ganze Haus in Gelächter aus. Dasselbe passiert auch dem, der beim Nachbarn die Pfannkuchenform, beim Kaufmann Stecknadelsamen oder weißen Ruß holen soll oder sich beim Schlachten nach dem Wurstmaß oder dem Speckhobel schicken läßt. Am Fastnachtstag ist nicht nur jedes landwirtschaftliche Treiben verboten; es darf auch keine Nadel geführt werden, weil sonst der Blitz einschlägt; es darf nicht gestickt werden, weil sonst die Hühner fortlegen und es darf nicht gesponnen werden, weil sonst Jungvieh mit krummen Beinen geboren wird. Stattdessen soll man ›Fastnachtsbutter‹ machen, um dann beim Ackern damit den Pflug zu schmieren und das Spinnrad reinigen, damit der Flachs gerät. Des Flachses wegen sollen auch alle Bauern, junge wie alte, zu Fastnacht tanzen. Zudem glaubte man, wenn die Magd auf dem Tische tanze und rücklings herunterspringe, der Flachs besonders gut gedeihe.3 Auch die oberländischen Wetterpropheten weisen dem Tag besondere Bedeutung zu: »Wenn die Fastnacht kalt und hell ist, so erhoffen die Bauern eine heiße und schöne Ernte. Wenn aber die Fastnacht naß und dunkel Wetter ist, so soll es auch eine nasse Ernte geben.«4

Der Schäberrocken

Zur Beendigung ihrer Rockenstube alljährlich am Fastnachtstage »hielten die Möschlitzer Mädchen ihren ›Schäberrocken‹. Dazu polierten sie ihre Spinnräder auf Hochglanz und schmückten sie. Anschließend legten sie ihre Tracht an, feierten in ihrer Spinnstube mit Kaffee, Kuchen und Likör und gingen danach schön spazieren. Die Burschen nutzten diese Abwesenheit natürlich aus und ketteten derweil in der Stube die Spinnräder zusammen. Mitunter hängten sie auch eines hoch an einen nahen Baum, worauf die Heimkehrenden die gesicherten Brummeisen mit einem Pfand [meistens mit Schnaps] wieder auslösen mußten.5

Das Bärentreiben

»In den thüringischen Dörfern wurde hauptsächlich der Fastnachtsdienstag mit Neckereien und Umzügen gefeiert. Die Burschen wählen abenteuerliche Verkleidungen, schwärzen das Gesicht und legen große Bärte an, setzen sich Tierköpfe auf oder legen Tierfelle an und treiben häufig noch einen Bären vor sich her, der tanzen muß. Dieser – den Bär darstellende – Bursche ist stets in Stroh gewickelt und heißt nach früher gewöhnlich verwandten Erbsstroh … ›Strohwickel‹ [Schleizer Oberland].«6 Mit Bären konnten dem Volksglauben nach böse Geister ausgetrieben werden. So war es in der Bärenmühle bei Heinersdorf einmal ein Bärenführer mit seinen Tieren, denen es gelang, böse Kobolde, die zuvor Mensch und Vieh gepeinigt hatten, für immer aus den Anwesen zu vertreiben.

Für ihre Späße beim Umherziehen mit dem Bären sammeln die Jugendlichen Geld, Würste, Pfannkuchen ein, »die sie am Abend verschmausen. In einigen kleinen Dörfern bereiten auch die Mädchen gegen Abend aus gesammelten Fleischstückchen einen Festbraten, wozu sie natürlich Thüringer Klöße kochen. An das gemeinsame Mahl schließt sich gewöhnlich der Tanz am Abend bei der Musik eines ›Zerrwanstes‹ oder eines ›Ziehbalges‹ (Rupperdorf, Schleiz) an.«7 Wie wir bereits in unserem Kapitel über die Lichtmeß hörten, stellt der Bär aus kulturanthropologischer Perspektive die Sonne dar.

Vom Pflugziehen

Ein weiterer, längst nicht mehr gepflegter Fastnachtsbrauch war das Pflugziehen, bei dem symbolisch eine erste Ackerfurche gezogen wurde. Dazu haben die jungen Burschen jene Mädchen, derer sie habhaft werden konnten, mit Gewalt vor den Pflug gespannt [als Strafe dafür, weil sie sich das vergangene Jahr über nicht bemüht hatten, unter die Haube zu kommen] und mit der Rute, die ursprünglich immer ein grüner Zweig war, geschlagen, damit alte schädliche Mächte ausgetrieben und auf den Leib des Geschlagenen die Lebenskraft des grünen Reises übertragen werden sollte. Einen ähnlichen Brauch kannten schon die alten Römer mit ihren, im Volke so beliebten ›Lypercalien‹. Mit dem Bocksfell der geopferten Tiere angetane Jünglinge zogen dabei durch den Ort, um Passantinnen für gute Fruchtbarkeit des Landes und der Menschen zu peitschen. Auch die römischen Christen behielten den Brauch bei, bis es Papst Gelasius [†495], um diesen ›Hurentag‹ des geschlechterlich ausschweifenden Fruchtbarkeitsfestes endlich zu christianisieren, dem Heiligen Valentin [siehe Valentinstag] anheimstellte.8 Indem es beim Pflugziehen und dem damit verbundenen äußerst derben Brauchtum immer wieder zu Verletzungen, mitunter zu Todesfällen kam und die Verantwortlichen, da sie vermummt waren, kaum ausgemacht werden konnten, hat die Obrigkeit den Brauch im 18. Jahrhundert schließlich ganz verboten.9 Überhaupt war man schon frühzeitig um die Einhaltung von Recht und Ordnung zur närrischen Zeit bedacht, so heißt es in der alten Leutenberger Stadtordnung bereits im 15. Jahrhundert: ›§145 von reyen [tanzen lassen] an der fastnacht‹ betreffend: »Wer an der fassnacht reyen [tanzen] will, mag er nit spilmann gehaben, so soller sewberliche und hubschliche [reine und anständige] lyder fürsingen, dann wer vnweyse lit sung, der soll geben den burgern funf Schilling [Strafe].«10

Der Oschitzer Bierzug

Was heute der seit 1954 alljährlich am Rosenmontag begangene große Umzug des Duhlendorfer Karnevalsvereins durch Neustadt an der Orla ist, war bis zum Zweiten Weltkrieg für die Oberländer der Bierzug in Oschitz. Das war ein, von den Burschen des Ortes selbst gezogenes Fuhrwerk, »mit dem das Fastnachtsbier aus einer der Schleizer Brauereien geholt wurde. Mit viel Lärm und Geschrei ging es durch Schleiz und dann zum heimatlichen Dorf.«11 Noch 1927 heißt es darüber: »Der Wagen wird von den Burschen selbst gezogen. Ein langes Seil ist an der Deichsel befestigt, in das in gewissen Abständen Hölzer geknotet sind. Je zwei Burschen ziehen miteinander. Einer sitzt auf dem Wagen und spielt auf dem Blasebalg … lustige Weisen. Auch der Kutscher fehlt nicht. Er muß fleißig von seiner Peitsche Gebrauch machen; denn seine Pferde sind störrisch und wollen nicht, wie er will. Die Burschen trugen früher Strickjacken und Halstücher, die Hosen in Halbstiefeln und die üblichen blauen Schürzen. Als die Zeiten noch besser waren, wurde auch ein Schwein geschlachtet. Dann gingen die Burschen nur nach Hause, um sich für den Tanz sauber anzuziehen. … Am Nachmittag findet ein Umzug durch das Dorf statt. Dabei trugen noch vor wenigen Jahren die Mädchen die schöne oberländische Tracht.«12 Während des Oschitzer Faschingsumzuges tragen zwei weißgeschürzte Burschen als Kellner in bunten Gießkannen Bier umher und lassen jeden Einwohner trinken, der am Hoftor oder vom Fenster aus sich das Treiben ansieht. »Anschließend an den Umzug ist Mädchentanz. Da fassen die Mädchen die Burschen an, d. h. sie fordern sie zum Tanz auf. Es herrscht dann ein fröhliches Treiben bis spät nach Mitternacht. Die verheirateten Frauen sehen diesem Treiben zu. Gar manches alte Mütterlein wird dabei wohl an seine Jugendzeit denken. Die fleißigen Hausfrauenhände müssen am Abend einmal ruhen. … Die Männer sitzen am Abend in der Gaststube, die zum Erdrücken voll ist, beim Bier, denn zur Fastnacht muß man Bier trinken, sonst gerät die Gerste nicht.«13

Heischegänge der Kinder

Während also die Eltern am Fastnachtstage mit Großputz, Buttern und Bändermachen beschäftigt waren und die große Jugend ihren Umzug hielt, liefen vielerorts auch die Schulkinder mit Kiepe oder Purzelkorb vermummt durchs Dorf und sammelten von jedem Haus kleine Leckereien ein. In Dreba wurde dazu mit einem selbstgebastelten Storch auffordernd an die Scheiben der Wohnhäuser geklopft. Mitunter versuchte man auch durch das offene Fenster der Wurstkammer etwas zu herauszuangeln. Am Ende wurde das Sammelgut unter einen von den Mädchen gemachten Kartoffelsalat gemischt und im Wirtshaus feierlich verzehrt.14

In einigen Dörfern wurde an diesem Tag auch eine Strohpuppe verbrannt. »Das ist ein Brauch, der bis zu den alten Thüringern oder sogar den Hermunduren zurückreichen und das Austreiben des Winters mit dem Verbrennen des alten Strohs ausdrücken soll.«15

Auflegen in Langgrün

»Legten die Gemeinden früher oft zu Fastnacht ihre Rechnung und hielten im Anschluß ihre Hegemahlzeit, so sorgte die Jugend im Schleizer Oberland (Langgrün) für eine eigenartige Abwandlung des alten Rechtsbrauchs. Die Mädchen ›legen auf‹ beim Fastnachtstanz, was so vor sich geht: Drei Burschen und drei Mädchen – von der Jugend gewählt – und in ihrer Kleidung gekennzeichnet, tanzen alle Anwesenden an den Tisch heran, der mitten im Saale steht. Jeder der herangetanzt wird, muß es sich zur Ehre anrechnen, eine Spende von wenigstens drei Mark zu zahlen, wofür er mit der Tänzerin bei Musik dreimal um den Tisch tanzen darf. Wie die drei Mädchen die Burschen und Männer – auch vom Kartenspiel in der Gaststube weg – heranholen, so die Burschen alle Frauen und Mädchen. Am Tische erhalten die herangetanzten Männer ein Gläschen Schnaps und eine Zigarre, die Frauen und Mädchen ein Schnäpchen mit einer Bretzel oder einem Hörnchen. Von dem Erlös bestreiten die Burschen die Kosten für die Musik und bezahlen davon die Schulden von früheren Tanzvergnügungen, den Rest vertrinken sie.«16

1 Storl 2014, S. 31
2 Stahl 1979/1, S. 39
3 Vgl. ebenda, S. 39f.; Behr 1927, S. 69f.; A: Von Sitten und Gebräuchen aus Altengesees, Langgrün, Mödlareuth Neundorf [bei Schleiz], Pahnstangen, Potttiga, Wernsdorf u.a., in: Jugendgarten – Beilage zu ›Unser Oberland‹ (Oberlandhefte), Nr. 1-4 (1927); N.N.: Von Sitten und Gebräuchen aus Zoppoten, in: Oberlandhefte 1932, Heft 11, S. 222f.
4 Hänsel 1926/1, S. 10
5 Vgl. Robert Hänsel: Die Fastnacht und ihre Sitten in früherer Zeit, in: Oberlandhefte 1925, Heft 1.; Klimpke 1999/4, S. 7
6 Martin Wähler: Thüringische Volkskunde, Jena 1940, S. 420
7 Ebenda
8 Vgl. Angelika und Ingemar König : Der römische Festkalender der Republik. Feste, Organisationen und Priesterschaften, Stuttgart 1991
9 Vgl. Berthold Sigismund: Landeskunde des Fürstenthums Schwarzburg-Rudolstadt, 2 Bände, Rudolstadt 1862/63, S. 82; Stahl 1979/1, S. 39f.; Pößnecker Heimatblätter 1/2008, S. 8
10 Zitiert bei Stahl ebenda
11 Wachter 1992
12 L.: Wie man in Oschitz Fastnacht feiert, in: Oberlandhefte 1927/28, Heft 11, S. 166ff.
13 Ebenda
14 Vgl. Jürgen Klimpke: Hutzenstub´n und Kirmes – Bräuche im Oberland, in: Schleizer Heimathefte, Nr 16 (4/1999), S. 7f.; Gemeinde Dreba (Hg.): 700 Jahre Dreba – Festschrift anläßlich des Jahrestages der urkund-lichen Ersterwähnung 1302, Dreba 2002, S. 94
15 Wachter 1992
16 Wähler 1940, S. 420

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