Pestilenz und ›Schwarzer Tod‹ vom Mittelalter bis in die Frühneuzeit [Teil 5]

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Weil die Bauern nichts mehr auf die städtischen Märkte hereinbringen wollten, verordnete die Obrigkeit, dass die Märkte vor der Stadt oder an der Weichbildgrenze gehalten werden sollten. Diese Freimärkte funktionierten dergestalt, dass, wenn etwa die Landleute etwas verkaufen oder kaufen wollten, sie einen Zettel mit dem Gewünschten oder dem Geld an einem bestimmten Ort im Freien niederlegten und sich entfernten. Dann erst gingen die Städter hinaus und legten die Ware nieder und nahmen das andere mit. Das Passieren einer verbotenen Straße, die in oder aus einem Pestgebiet führte, war bei Todesstrafe verboten. Und es soll Fälle gegeben haben, wo Passanten, die auf diese Weise der göttlichen Fügung zu entkommen suchten, ergriffen und lebendig verbrannt wurden.

In Lobenstein lässt sich im Jahre 1639 wieder die Pest blicken. Ein Jahr später, nach Beendigung des Saalfelder Lagers, als die Schweden über Monate die ganze Umgegend systematisch ausgeplündert hatten, waren in der Gesamtheit gesehen die höchsten Todesraten zu verzeichnen. Im Schleiz wurden in diesem Jahr 458 (!) Personen begraben, wobei die meisten an der Pest oder anderen, von den Soldaten zurückgelassenen Krankheiten zugrunde gingen. Neustadt an der Orla verlor 1640 gar die halbe Bevölkerung. Viele Menschen tranken aasverseuchtes Wasser, bekamen Fieber und dicke Beulen und gingen daran zugrunde.

Zu erwähnen ist noch, wie die Landesherrschaft bzw. die örtliche Obrigkeit mit der Bedrohung durch Epidemien umzugehen verstand: Das von Heinrich Posthumus am 5. September 1611 erlassene reußische Pestmandat versuchte die Bevölkerung dazu anzuhalten; »1.) … unter Hintansetzung anderer Arbeiten und Geschäfte außer den Sonntagsgottesdiensten die für mittwochs angeordneten Frühbetstunden zu besuchen; 2.) sollen die von auswärts kommenden Personen nicht früher eingenommen werden, als sie in einem pestfreien Ort in vierwöchiger Wartezeit ihre Gesundheit erwiesen haben; 3.) wird alles gotteslästerliche Fluchen, Schwören u.a. Üppigkeit untersagt.«1

Den Verfassern der Pestmandate kann man einen Einblick in die Nöte der Pestdörfer nicht verwehren, wenn es etwa an einer Stelle heißt: Man soll »die Leichen, sobald sie auf dem Gottesacker ankommen, einscharren, die Gräber noch tiefer als gewöhnlich machen, sie durchaus nicht über Nacht offen stehen lassen und alles Zaubern, Stehlen, Rauben ernstlich meiden. … Wenn der Raum auf dem Friedhofe zu enge, mag die Obrigkeit auf Erweiterung bedacht sein.«2

Infolge der Pest nämlich mussten viele Friedhöf erweitert werden. An den Rändern vieler Orte entstanden sogenannte ›Notfriedhöfe‹, die einzig in Kriegs- oder Seuchenzeiten belegt wurden und deren landwirtschaftliche Nutzung in der Zwischenzeit stark reglementiert war. Vielerorts, wo die Seuche auftrat, gab es ein besonderes Leichentuch, das so genannte ›Pesttuch‹, welches über den Sarg gelegt wurde. Weil – wie wir schon hörten – niemand mehr die Toten zu Grabe tragen wollte, wurden in den Dörfern Schlappkarren und in den Städten besondere Pestwagen angeschafft. Als Zugtiere dienten oft dem Abdecker [Schinder] zur Tötung und Verwertung überlassene ›Schindmähren‹, weil man gute Pferde hierfür nicht einsetzen wollte.3 In Tanna stand ein solcher Pestwagen noch gegen Ende des 19. Jahrhunderts auf dem Kirchboden, weil niemand es wagte, ihn zu entsorgen, aus Furcht die Pest möge dann wiederkehren. Die Räder des im Jahre 1823 noch vorhandenen Schleizer Pestwagens ›sollen mit Filz beschlagen gewesen sein, damit, wenn er zur Nachtzeit voll Toter aus der Stadt gefahren wurde, das Gerassel seiner Räder die noch Lebenden nicht mit Furcht und Grausen erfüllen möchte‹. Überhaupt war die Furcht vor dem erneuten Ausbrechen der Seuche so groß, dass man nicht wagte, die Erde über Pestgräbern je wieder zu bewegen.

Über den Autor
Alexander Blöthner M. A. (phil.), gebürtig in Plothen bei Schleiz, hat an der Universität Jena ein ›Studium Generale‹ mit Schwerpunkt auf Geschichte und Soziologie absolviert und verfasst Bücher über Lebensphilosophie, Sagen, Orts- und Regionalgeschichte, Landschaftsmythologie als auch Alltags-, Sozial- und Wirtschaftsgeschichte. Autorenwebseite: Sagenhafte Wanderungen

1 Zitiert bei Friedrich Lorenz Schmidt: Darstellende Geschichte der Stadt Zeulenroda 1325-1867, Band 2, Teil 1, Zeulenroda 1935, S. 172
2 Ebenda
3 Vgl. Heimat- und Geschichtsverein Mohlsdorf 2002; Bergner 2012, S. 30

Aus: Alexander Blöthner: Der Dreißigjährige Krieg in Thüringen [1618–1648] Östlicher Teil: Reuß, Orlagau, Schwarzburg, Holz- und Osterland, Norderstedt 2018, S. 33-48. (in oberlandbezogenen Auszügen)

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