Das Klima im Thüringer Oberland: Teil 7 – Mißernten begünstigen die Revolution von 1848

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Über den Autor
Alexander Blöthner M. A. (phil.), gebürtig in Plothen bei Schleiz, hat an der Universität Jena ein ›Studium Generale‹ mit Schwerpunkt auf Geschichte und Soziologie absolviert und verfasst Bücher über Lebensphilosophie, Sagen, Orts- und Regionalgeschichte, Landschaftsmythologie als auch Alltags-, Sozial- und Wirtschaftsgeschichte. Autorenwebseite: Sagenhafte Wanderungen

Als letzte Markierung der Kleinen Eiszeit wird etwa die Große Hungersnot in Irland [1845-1852] betrachtet. »Ab etwa 1850 wurde es weltweit wärmer; dies gilt als Ende der Kleinen Eiszeit. Seitdem sind die globalen bodennahen Durchschnittstemperaturen um etwa 0,8 K gestiegen und damit (bezogen auf einen Zeitraum von 50 Jahren) wahrscheinlich wärmer als mindestens seit 1300 Jahren.«1 Auch in Deutschland gingen die 1840er-Jahre wieder mit Not einher, die nichtzuletzt auch als Katalysator für die Revolution von 1848 wirkte. Schon 1842 war ein sehr trockenes Jahr gewesen. Das Sommergetreide mußte teilweise gerauft werden. Grummet gab es fast gar nicht. Vielerorts mußten die Bauern ihr Vieh notschlachten und das Getreide dazukaufen. Infolge der schweren Teuerungen [1843 kostet ein Scheffel Korn 10 Taler] beschlossen die waldreichen Gemeinden an der Oberen Saale zur Linderung der Not Holz einschlagen zu lassen und den Erlös an die Gemeindemitglieder zu verteilen. In Gössitz wurde für 3.000 Taler Holz verkauft und jedem Gemeindemitglied davon 34 Taler ausgezahlt.2

Dann kam das große Kartoffelsterben. Im Gegensatz zu dem von Wetter- und Preisschwankungen ungleich mehr betroffenen Getreide hatte gerade die Kartoffel das Auskommen der ärmeren Bevölkerung gebietsweise überhaupt erst ermöglicht. »Schon 1830 war der ›Pilz Phytophthora infestans‹ aus Amerika eingeschleppt worden und hatte immer wieder Ernten vernichtet. Im sehr regnerischen Sommer 1845 waren plötzlich überall braune Kartoffelpflanzen auf den Äckern wie nach einer schlimmen Dürre. Die Knollen, die die Bauern aus der Erde holten, waren schwarz und stanken. Auch die Kartoffelernte des folgenden Jahres ging verloren.

Aus eigener Kraft konnten sich die Armen nicht mehr helfen. Als sich die Preise für Kartoffeln und Brotgetreide 1846 und 1847 verdoppelten bis verdreifachten [im Kreis Ziegenrück 1847 auf 11 Taler] brachen in rund hundert deutschen Städten Hungerrevolten aus.«3 Auch unsere Region hat die Krise stark getroffen. Weil die Bauern und Ackerbürger kein Winterfutter und nicht einmal Stroh mehr hatten, gingen sie in die Wälder und schürften gar das Moos und das Heidekraut von der kargen Humusdecke ab, so daß ganze Schläge über Jahre hinaus entwertet wurden. In Gefell, das damals eine Exklave des Kreises Ziegenrück war, wurden erst 1847 wieder die ersten Korngarben geerntet und ehrfürchtig wie ein Gottesgeschenk behandelt. »Im Altarraum der Gefeller Kirche hingen viele Jahre hindurch zwei Ährenkränze mit der Inschrift: ›Von den Erstlingen der Ernte im Notjahr 1847, erbaut und geerntet auf dem Acker des Bürgers und Bäckermeisters Gottfried Sammler. Festlich eingebracht und gesegnet vor dem Altar der Kirche am 20. August 1847‹. Da will es denn nicht wundernehmen, wenn weniger zartbesaitete Menschen zur Gewalt griffen, die Kalamität der Teuerung auf ihre Art – natürlich für sich – zu lösen suchten.4« Eines Tages legten die Arbeiter von der damals als Arbeitsbeschaffungsmaßnahme gebauten Straße nach Lobenstein ihre Tätigkeit nieder und zogen mit Pickeln und Schaufeln bewaffnet vor das Gefeller Rathaus, wo sie den Rat für Unstimmigkeiten verantwortlich machen wollten. Der Bürgermeister aber ließ die Sturmglocke läuten und die Bürgerwehr, bewaffnet mit Spießen, Vogelflinten und anderen unmöglichen Schießprügeln, zog gegenüber den Arbeitern auf. Allein dem vermittelnden Eingreifen des Pastors war es zu verdanken, daß die Parteien kampflos wieder auseinandergingen. Es war damals eine höchst unruhige Zeit. Geheimnisvolle Einbrüche mehrten sich in der Stadt. Vieh, namentlich Schweine, wurden in den Ställen zur nächtlichen Zeit gemeuchelt. Und bei wem man mutete, daß er noch etwas besitze, der erhielt Erpresserbriefe mit der Drohung, den Roten Hahn auf das Dach zu setzen. Bald wurde den Gefellern klar, daß in den nahen Wäldern eine wohlorganisierte Bande mit zahlreichen Helfern unter den Dienstboten und der Stadtarmut ihr Unwesen treiben mußte, denn sehr genau waren die Diebe mit den Gewohnheiten der Bürger vertraut. Kinder oder Hausangestellte, die unbemerkt die Diebe beobachtet hatten, berichteten später, wie zielsicher und ohne Umschweife die Einbrecher die ›richtigen‹ Schubladen und Truhen mit den Wertsachen angesteuert hatten. Selbst der Bürgermeister, der eines Abends nach einigen Schoppen Wein vom Schützenhaus nach Hause gehen wollte, wurde von einem Räuber überfallen, doch wußte er mit seinen schweren eichernen Gehstock den Angreifer niederzuschlagen. Als einige Zeit später ein Orkan den zur Gefeller Kirche gehörigen Forstteil ›Pöhl‹ vollkommen niederlegte, fand man bei den Aufräumarbeiten die Höhle, die sich die Banditen in den Waldboden gegraben hatten, verlassen vor. Wer die Anführer und Mitglieder dieser, sich aus verschiedenen Bewohnern aller umliegenden Orte zusammensetzenden Bande waren, darüber war später höchstens hinter vorgehaltener Hand die Rede. Beweisen konnte man keinem etwas. Wer aber Glück hatte, und diesen oder jenen Wirtshausbesucher in mitteilsamer Laune antraf, konnte hören, wie ›de Schpitzboum in´Piel damals gehaust ham‹.5 Auch die Gegend um die Kupferplatte zwischen Kießling und Blankenstein soll damals längere Zeit für Passanten gefährlich gewesen sein, da späte Räuber hier auf frühe Rennsteigwanderer trafen.

Dann drang auch nach Ostthüringen »die Kunde, daß eine gewaltsame Änderung der bestehenden Verhältnisse geplant sei. Worin dieselbe eigentlich bestehen sollte, darüber wußten nur die wenigsten etwa Genaueres. Jeder hoffte eben, dasjenige werde beseitigt werden, was ihm selbst gerade unangenehm erschien. … Unbekannt mit den traurigen Folgen bürgerlicher Zwietracht und Uneinigkeit, mochten manche eine zügellose Freiheit und eine völlige Gleichheit aller Stände für den höchsten Grad menschlicher Glückseligkeit halten.«6 So ist die Hirschberger Pflege daraufhin zu einem der Zentren der 1848er-Revolution in Ostthüringen geworden, in dessen Folge Heinrich LXXII., der letzte Fürst von Ebersdorf, abzudanken gezwungen war, zumal man ihm nicht vergessen hatte, daß er 1826 in Harra fremdes Militär gegen friedliche Demonstranten vorgehenlassen hatte, wodurch 26 Menschen getötet wurden, aber das ist schon wieder eine andere Geschichte.

1 Intergovernmental Panel on Climate Change (Hg.): Vierter Sachstandsbericht (IPCC AR 4), 2007, Kap. 6

2 Vgl. Alexander Blöthner: Wo die Saale rauscht…! – Gössitzer Heimatbuch. Alltag, Kultur und Wirtschaft in einem ehemaligen Markt- und Gerichtsflecken im Orlagau, Pörmitz 2008

3 Gesa Gottschalk: Aufbruch ins Ungewisse – Mißernten, Massenarmut und politische Unterdrückung treiben 1846 immer mehr Deutsche ins Exil, in: Geo-Epoche Nr. 37 (2009), S. 122

4 Walter Döhla: Böse Zeiten (1847), in: Autorenkollektiv: Heimatbuch Kreis Ziegenrück, Pößneck 1938, S. 173

5 Vgl. ebenda, S. 174f.

6 Gebhardt 1895

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