Brigitte Richter
Anfang der sechziger Jahre, also vor mehr als 60 Jahren, hatten meine Eltern als zweite Familie im Ort einen Fernseher.
Schwarz weiß natürlich, mit Testbild, wenn keine Sendungen liefen. Meine Oma war damals ungefähr 70 Jahre alt. Für sie war das „Teufelszeug“!
Sie hielt sich kaum noch in der guten Stube auf, wenn der Fernseher lief, weil sie glaubte, dass es nicht mit rechten Dingen zugeht, wenn sich Menschen auf einem Bildschirm bewegen.
Ich selbst war sehr stolz, dass wir zu den „Modernen“ gehörten. Die Kinder vom Dorf kamen in unser Haus um Filme mit mir zu gucken.
Und irgendwann kam ich auf die Idee, dass sie ja eigentlich „Eintritt“ bezahlen könnten, wie im Kino.
So begann schon für mich, als 10 Jährige, das kapitalistische Denken.
Später kaufte mein Vater einen Farbfernseher. Er stellte sich nachts um 4 Uhr in unserer Kreisstadt vor dem Kaufhaus an, um solch ein begehrtes Teil für 4 Tausend Ostmark zu ergattern.
Der Fortschritt machte rasante Sprünge. Die Oma wollte davon nix wissen. Sie lebte glücklich in ihrer Küche, mit Kohleherd, stopfte die Strümpfe wenn sie auf dem Canapé saß, und trank am Nachmittag mit der alten Nachbarin Kaffee.
Wenn die beiden alten Frauen mysteriöse Geschichten erzählten, dann spitzen wir Kinder die Ohren. Der Fernseher war uns dann ziemlich egal.
Manchmal wünschte ich mir, dass die Oma noch einmal zu uns kommen könnte, um zu sehen, was Kinder heute so machen.
Ihre Ur-Ur-Enkelin sitzt nur noch mit dem Smartphone in der Hand am Tisch. Sie schreibt Whatsapp-Nachrichten an ihre Freunde und Mitschüler. Fotos werden gemacht und erreichen in der nächsten Sekunde einen Empfänger.
Oma könnte das alles nicht verstehen.
Und wenn ein Pärchen sich schreibt: ILD, dann würde Oma denken, die sind nicht mehr ganz richtig im Kopf.
Die Sprache ist eine andere geworden. Mitmenschlichkeit zu bewahren wird zum Unterrichtsfach in der Schule…
Meine Enkelin, also die mit dem Handy in der Hand, saß mir bei einer Feier gegenüber. Sie redete kaum ein Wort mit mir. Ich wollte ihr eine Frage stellen, aber sie konzentrierte sich nur auf ihr Smartphon in der Hand. Da nahm ich mein Handy aus der Tasche, schrieb ihr eine Nachricht, und prompt kam die Antwort von ihr, über Satellit natürlich, zurück.
Fortschritt ist Fluch und Segen zugleich.
Ich wünsche meinen Enkeln, dass sie so oft es geht mit mir auf dem Sofa sitzen, den Geschichten lauschen, die ich von meiner Oma weiß, und sich später erinnern, dass Omas faltige Hände streicheln und trösten konnten und ihre blauen Augen Güte ausstrahlten.
Alles im Leben hat eben seine zwei Seiten!