Von Altem Brauchtum: Kirmes

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Ein in Thüringen, aber auch in anderen Teilen Deutschlands sehr bekanntes Fest ist die Kirmes. Trotz mancher Wechselfälle der Zeiten ist sie bis heute im Leben der Dörfer des Oberlandes wichtig geblieben, auch wenn ihre Bedeutung inzwischen zurückgegangen ist. Dem war nicht immer so, denn als man vor etwa 120 Jahren in hiesiger Gegend im Unterricht einmal ein Kind fragte, welches denn die ›Gresten Faste‹ im Jahr seien – der Lehrer wollte natürlich Weihnachten, Karfreitag, Pfingsten und Trinitatis hören – habe es schnurstracks geantwortet: ›Weihnachten, de Kerms und de Schlachtsupp!‹1

»Die Kirmes wird allgemein im Herbst gefeiert, wenn der Hauptteil der Jahreszeit bewältigt und die Ernte eingebracht ist. Man nimmt an, daß die Kirmes auf ein altes vorchristliches Herbstfest [nord.: Haustblót ≙ Herbstopfer] zurückzuführen ist. … Erst sehr viel später wurde daraus dann die Kirchweih, d. h. das Erinnerungsfest an die Kircheneinweihung. Die vielen ausgelassenen Feste der einzelnen Dörfer hat man dann auf den Herbst in kurzen Abständen zusammengelegt, da die weltlichen Feiern die kirchlichen Feiern bald überwogen.«2 In einigen Orten, wie Rödersdorf [bis vor kurzem auch Pottiga] wird die Kirchweih noch an ihrem ursprünglichen Termin gefeiert, in Liebengrün dagegen am ersten Novemberwochenende. Im Raum Schleiz beispielsweise beginnt der alljährliche Kirmesreigen in Gräfenwarth, gefolgt von Crispendorf und Eßbach. An den nächsten Wochenenden feiern mehrere Dörfer gleichzeitig, bis nach 6 Wochen Raila und Kulm den Reigen abschließen. In Plothen beispielsweise wird die Kirmes stets an jenem Montag gefeiert, der dem ersten Sonntag im November folgt, in Oettersdorf dagegen ist es der Montag nach dem 4. November. Die ehemalige Schleizer Vorstadt ›Katzenhübel‹ feierte ihre Kirmes angeblich ›Drei Tage nach dem ersten Schnee!‹ Mitunter ergaben sich organisatorische Kompli-kationen, wenn der jährliche Kirmesbesuch bei der Verwandtschaft mit dem eigenen großen Festmahl am Kirmestag zusammefiel. So schärfte man beispielsweise den jungen Leute in Löhma früher ein: ›Heiratet bluß kenn vun Gärbs [Görkwitz], däi hamm de Kärms mit uns!‹. Im Jahre 1907 erschien in der Zeitung ein in Mundart verfaßtes Gedicht über die Kirmes, dessen erste Strophe lautet: »Ihr guten Kinners, horcht ämol, was ich eich will erzähle. Es grässte Fäste im ganzen Gahr, das feiern mar ze Michele [29. September]. Däs ist a Fäst for Alt und Jung do wärd ge-schbielt, getanzt, gesung. Das is de liebe Kärmse.3« In größeren Dörfern gab es auf dem Dorfplatz sogar einen richtigen Rummel, mit Reitschule, Kettenkarussell und Luftschaukel für die Kleinen, mit Schießbude, Hammelkegeln und Lukas für die Großen.4 Meist waren es die gleichen Schausteller, die von Ort zu Ort zogen. Gewöhnlich war der Beginn der Kirmes »am Sonntag 15:00 Uhr mit dem Einläuten und es soll früher Leute gegeben haben, die am Ortseingang warteten, bis es dreimal geläutet hatte, damit die Kirmes offiziell eröffnet war. Erst dann betraten sie das Haus der Verwandtschaft. Da die Kirmes bis zum Dienstag dauerte, kam es nicht selten vor, daß die anwesende Verwandtschaft gleich mitübernachtete.«5 Wer keine Verwandten oder Freunde hatte, bei denen er eingeladen war, ging ins Dorfgasthaus, deren viele für diesen Tag neben verschiedenen Braten bestimmte Hauptessen – man denke an Schweinsknochensauer, Rückbeenle bzw. Pökelfleisch mit Klößen und Meerrettich oder Weiße Kließ´un schwarze Wurscht – vorbereitet hatten. In Knau gab es zu den Klößen einen besonderen Braten, der von den benachbarten Drebaern hämisch ›Krähenleber‹ genannt wurde. Indem ab Oktober wieder die Monate mit einem ›R‹ beginnen, konnte als Kirmesessen auch der traditionelle Karpfen [polnisch] mit Thüringer Klößen oder Semmeln genossen werden. Das war ehedem auch zu Ostern und zu Silvester Brauch.

Es waren an diesen Tagen mehr Kirmesgäste wie Einwohner im Dorf und die Städter kamen zu diesen Zeiten in ganzen Heerscharen auf die umliegenden Dörfer gezogen.

Während am Sonntagnachmittag die Kirmesgesellschaften gemütlich bei Kaffee und Kuchen beisammen saßen, machten sich die Gastgeber derweil daran, den Karpfen für das Abendessen herzurichten. Dazu wird dieser portioniert, in eine Pfanne gelegt, darauf Butterflöckchen verteilt und zum Ziehen mit einem heißen Sud aus Möhren, Sellerie, Kohlrabi, Fischgewürz, zuweilen auch mit etwas Bier übergossen.

Später war dann Dorftanz. In einigen Orten, so in Möschlitz, gab es davor noch einen von der Dorfjugend veranstalteten Umzug mit Lampions und Blasmusik. Sodann strömte alles auf den Tanzsaal, wo die sogenannten ›Plan- oder Platzburschen‹, die Organisatoren der Festlichkeiten, schon ungeduldig warteten. Sodann begann das Eintanzen der Kirmesjugend. Meist spielten örtliche Freizeitmusiker zum Tanz auf. Im Raum Volkmannsdorf gab es die ›Siebendörferkapelle‹, ein aus Musikern aus 7 Dörfern bestehendes Ensemble, über das früher die tollsten Geschichten im Umlauf waren. In Weira war es beim Kirmestanz üblich, Tüten voller Zucker in den Saal zu schütten, um den es dann eine lustige Balgerei gab. Bis in die 1950er-Jahre hinein soll noch ein Teil des Kirmestanzes aus Ringtänzen-, bzw. gesängen bestanden haben. Letztere hatten mitunter wüste Texte wie: »Wenn Kirmse is, wenn Kirmse is, gibts Runkelkaffee, gibts Runkelkaffee und Tee. Es ist mir sowieso nicht recht – Kirmse. Es ist mir im Leibe schlecht – Kirmse.6« Getanzt wurde meist bis 1:00 Uhr, wenn der Gendarm nicht kam oder unten in der Gaststube hängengeblieben war, entsprechend länger. Danach gingen alle nach Hause, jedoch nicht bevor Verwandte, Freunde oder nette Bekanntschaften in die Häuser [meist der Mädchen] noch zum ›Kaffee‹ geladen wurden, ein Brauch übrigens, der nicht nur zur Kirmes, sondern das ganze Jahr über nach Tanzveranstaltungen geübt wurde und sich bis heute gehalten hat.

Manchmal noch in der Nacht, meist aber am darauffolgenden Morgen begann das traditionelle Ständchenblasen, wo die Blasmusikanten mit ihren Trompeten und Posaunen von Hof zu Hof zogen und vorwiegend dort, wo die jungen Mädchen wohnten, ein oder zwei Stücke bliesen, bis sie danach zusammen mit den sie begleitenden jungen Burschen Kuchen, Likör oder Schnaps bekamen. Oft kamen die Burschen auch mit in die Wohnstuben, wo sie sich mitunter recht raubeinig benahmen, weswegen kleine Kinder und Katzen Angst vor ihnen hatten und sich unter den Tisch oder unters Sofa zurückzogen.

Nach dem Kirmesgottesdienst am Montagvormittag wurden die Tiere versorgt und die notwendigsten Hausarbeiten verrichtet, damit man gegen 12:00 Uhr zum Mittagessen und nach 14:00 Uhr zum zweiten Tanzball auf dem Saal, [zum eigentlichen Kirmestanz] erscheinen konnte. Zwischendurch verließ man den Saal immer wieder einmal, ging etwa gruppenweise spazieren, kehrte ins Wirthaus oder zu einer Familie ein, so daß die ganze Zeit über eine Beschwinglichkeit herrschte, die uns Gegenwärtigen, die wir mehrtägige ununterbrochene Feierlichkeiten nicht mehr kennen, völlig fremdgeworden ist.7 Zuletzt wurde die Kirmes begraben: In Knau hat man dazu ein großes Bierfaß als Sarg aufgebahrt und mit Blumen geschmückt. »Das wurde ein paarmal bei Trauermusik durch den Saal getragen. Die Männer hatten dabei schwarze Kleidung an. Einer hat den Pfarrer gespielt und eine lange Trauerrede gehalten. Weil die Kirmes schon wieder gestorben ist. Hinterher gab es Freibier. Da ging dann der Abend erst richtig los und man freute sich darauf, daß im nächsten Jahr wieder eine neue Kirmes ist.«8


1 Zitiert bei Braune 2013, S. 105
2 Stahl 1979/2, S. 38
3 Zitiert von Ida Zschach (Möschlitz), bei Klimpke 4/1999, S. 23
4 Vgl. Robert Hänsel: Aus dem Volkstum der Kreise Schleiz und Lobenstein, in: Oberlandbote Jan/Feb 1956, S. 153; Alfred Pasold: Die Dorfkirmes oder ›Däs gresste Fäst im ganzen Gahr‹, in: Der Oberlandbote, Nov 1956, S. 359f.; Willy Fröhlich u. a.: Beiträge zur Geschichte der Gemeinde Knau anläßlich der 925 Jahrfeier 1999, Pörmitz 1999, S. 79
5 Klimpke 4/1999, S. 15f.
6 Zitiert bei Fröhlich u. a. 1999, S. 80
7 Vgl. ebenda; N.N.: Kirmes in Herschdorf, in: Heimat in Bild (03.12.1933).; Remane 1957, S. 43; Volker Reetz: Die Kirmes, in: Amtsblatt der Verwaltungsgemeinschaft Saale-Sormitz-Höhen, Jg. 3, Nr. 10 (24.10.1997); Fröhlich u. a. 1999, S. 79; Blöthner 2008
8 Fröhlich u. a. 1999, S. 80

Über den Autor: Alexander Blöthner M. A. (phil.), gebürtig in Plothen bei Schleiz, hat an der Universität Jena ein ›Studium Generale‹ mit Schwerpunkt auf Geschichte und Soziologie absolviert und verfasst Bücher über Lebensphilosophie, Sagen, Orts- und Regionalgeschichte, Landschaftsmythologie als auch Alltags-, Sozial- und Wirtschaftsgeschichte. Sein neuestes Buch: „Wetterextreme im Reußischen Oberland“. Autorenwebseite: Sagenhafte Wanderungen

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