Von altem Brauchtum: Neujahr

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Mehr noch als heute war das noch vor dem Ersten Weltkrieg im Oberland eingebürgerte Schreiben von Neujahrskarten populär, daß ›sich einzelne Dorfbewohner bei dieser Beglückwünschung untereinander sogar der Post bedienen‹.1 Die Ursache darin liegt, in dem alten Brauch, am Neujahrsmorgen Nachbarn und Freunde zu besuchen und sie zu beglückwünschen. Allerdings war zu beachten: Wenn zuerst ein Mann ins Haus kommt, so bedeutet das Glück, kommt eine Frau zuerst, so hat man Unglück. Wer von den ledigen Mädchen oder Burschen am Neujahrsmorgen einen Apfel auf nüchternen Magen aß und danach einen Gang ins Dorf machte, traf den zukünftigen Ehepartner. Wer als erster einer alten Frau einen Gruß entbot, war dem Unglück geweiht. Wer zum neuen Jahr zuerst von der Kirche daheim war, der ist auch das ganze Jahr mit der Arbeit vorneweg.

Bis vor dem Zweiten Weltkrieg war es allgemein üblich, daß Dienstleistende, wie Straßenkehrer, Müllfahrer, Schornsteinfeger, Zeitungsausträger oder Bierkutscher den Hauswirten zum neuen Jahre gratulierten und dafür ein kleines Trinkgeld erhielten. Zu diesem Zwecke hatten auch die Saaleflößer bei ihrer ersten Fahrt zu Jahresbeginn traditionell einen Christbaum dabei. Das hatte nicht nur symbolische Bedeutung, sondern brachte den Mannschaften auch beachtliche Geschenke ein, denn bei dieser Fahrt wurde grundsätzlich desöfteren angehalten und die Flöße bei Holzhändlern, Schneidemühlen-Besitzern oder auch Gastwirten angebunden. Dann wurde der kleine mit Bändern geschmückte Tannenbaum dem Gastgeber mit einem Sprüchlein vorgebracht, wofür die Flößer belohnt wurden.

Vielerorts zogen an diesem Tag die Kinder singend von Haus zu Haus und baten um milde Gaben. In beinahe jedem Ort war es früher Brauch, daß die Kinder unter Leitung des Lehrers am Neujahrstag ein Singen von Haus zu Haus veranstalteten, wofür der Lehrer von allen Einwohnern sein ›Schärflein‹ zu empfangen hatte.2 Nach­dem dieses etwa in dem Dorfe Weira bei Neustadt/Orla von der hohen Behörde verboten wurde, »da es einem an vielen Orten üblichen Betteln von Neujahrsgeschenken gleich kam, wurde folgendes festgelegt: Zum ersten soll am Neujahrstag nachmittags von dem jedesmaligen Schullehrer mit seinen dazu wohlvorbereiteten Schulkindern auf einem freien Platze des Dorfes einige Arien und zuletzt ein zweckmäßiges Lied aus dem Gesangbuche abgesungen werden. Zum zweiten soll nach geendigten Gesang ein jeder Nachbar und Einwohner den von diesem Platz in seine Wohnung sich begebenden Schullehrer eine freiwillige Gabe selbst einhändigen, diejenigen, nicht ausgenommen, welche etwa bei diesem öffentlichen Singen nicht anwesend waren. Zum dritten soll im Fall, daß solche Gaben von mehreren Seiten ganz ausbleiben, dem Schullehrer das Recht zukommen, diese Säumigen durch den Vorsteher des Ortes daran erinnern zu lassen. … Wann dieser Brauch nun gänzlich verfiel, ist nicht mehr festzustellen.«3 Auch im Schleizer Oberland wurde das Neujahrssingen, nachdem die Stadt Schleiz schon 1846 den Anfang gemacht hatte, nach und nach eingestellt, in Lobenstein erst 1907, da sich die Besoldung des Schulpersonals inzwischen dermaßen gebessert hatte, daß es immer weniger mehr auf das Eisnsammeln von Naturalien etc. angewiesen war. Neben den Lehrern nutzten auch Musiker wie der Stadtpfeifer bzw. der Turmbläser, der zugleich Turmwächter war, die Möglichkeit, ihren geringen Verdienst aufzubessern. So erhielten in Schleiz 1682 die Stadtmusikanten Geld, weil sie ›das neue Jahr umgeblasen‹ hatten. Noch vor etwas mehr als einhundert Jahren fing es »in der Regel am dritten Weihnachtsfeiertag an. Alle Musiker kamen zum Leidwesen der Mutter, die mit Recht um ihren neugescheuerten Fußboden bangte, aber zur Freude der Kinder in die Wohnstube, spielten drei Stücke und wünschten dann ein frohes und gesundes neues Jahr, worauf der Stadtmusikus ein kleines Geschenk erhielt. Vielen war die Sitte lästig, vor allem durch die kleine Gabe und sie verriegelten die Tür, sobald die Musiker in Sicht kamen.«4

»Vielfach gilt der Neujahrstag auch als ein Prognosetag: ›Was man an diesem Tag unternimmt oder besitzt, soll das ganze Jahr erhalten bleiben.‹ … Eine deutsche Bauernregel besagt: ›Morgenrot am ersten Tag Unwetter bringt und große Plag.‹«5

Über den Autor
Alexander Blöthner M. A. (phil.), gebürtig in Plothen bei Schleiz, hat an der Universität Jena ein ›Studium Generale‹ mit Schwerpunkt auf Geschichte und Soziologie absolviert und verfasst Bücher über Lebensphilosophie, Sagen, Orts- und Regionalgeschichte, Landschaftsmythologie als auch Alltags-, Sozial- und Wirtschaftsgeschichte. Autorenwebseite: Sagenhafte Wanderungen

1 Mendner 1916, S. 66, zitiert bei Braune 2013, S. 101
2 Vgl. Behr 1927, S. 69f.; Heinz-Werner Schreiber: Thüringen – Sitte und Brauch im Jahreslauf, Bad Langensalza 1996; Clemens 1997, S. 8
3 Reinhard Remane: Weira im Wandel der Zeiten – Eine Geschichte des Ortes Weira (Manuskript), Weira 1957, S. 153f.; Vgl. auch Robert Hänsel: Das Umsingen in Lobenstein, in: Jahrbuch der Thüringer Vereinigung für Heimatpflege, Erfurt 1911, S. 114f.
4 Robert Hänsel: Prosit Neujahr, in: Oberlandbote – Kulturspiegel des Kreises Schleiz 1961, Nr. 1, S. 7, zitiert bei Braune 2013, S. 101
5 Meyer 2021

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