Von altem Brauchtum: Weihnachtsheiligabend

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24. Dezember (Weihnachtsheiligabend): »Heute findet das Jahr wieder seinen Höhepunkt, das Christkind kommt, der Heiland wird als Erlöser geboren. … Der genaue Geburtstag des Herrn ist nicht bekannt und wurde früher als Fest der Erscheinung am 6. Januar gefeiert.«1 – »In christlichen Ländern ist es Brauch geworden, eine Krippe mit dem neugeborenen Kindlein, mit dem Heiligen Paar, den Engeln, Hirten, den Weisen aus dem Morgenland und den Tieren unter dem geschmückten Tannenbaum aufzustellen. Die immergrüne Tanne wird dabei zum Weltenbaum, zum kosmischen Urbaum. Die Lichter und Kugeln stellen die Sterne und Planeten dar, das Zuckergebäck die Süße der ekstatischen Schau.«2 Die heutige Bescherung, besonders an die Kinder, aber ist das Herzstück des Winters: Der schöne Brauch ist mehr als 500 Jahre alt. Sein geistiger Vater ist der Reformator Martin Luther.3

Bis es am Heiligabend Zeit zur Bescherung ist, sind noch viele Vorbereitungen zu erledigen. Der am Vortag aufgestellte Weihnachtsbaum muß schön geschmückt, alles, was man in den nächsten Tagen benötigt, beisammen sein. Sobald am Himmel der erste Stern zu sehen ist, beginnt die Christnacht. Die Kirchenglocken läuten feierlich den Heiligabend ein und bald beginnt die Christmette, die vielerorts mit einem besonderen ›Christkindlesspiel‹ verbunden ist. Diese früher in beinahe jedem Dorf aufgeführten Spiele haben sich im Oberland zuletzt fast nur noch in Plothen erhalten, nachdem das Geistliche Konsistorium, sprich die Kirchenbehörde, im Jahre 1746 die sogenannte ›Gaukelei des Christspiels‹ verboten und deren Aufführung mit Strafen belegt hatte. Das Turmblasen nach der Christmette aber behielt man bei und es ist auch heute noch eine erhabene, ja erhebende Sitte.

Die Bescherung bereits am Heiligabend vor oder nach der Christmette ist eine neuzeitliche Erfindung. Ursprünglich fand am Christabend lediglich eine Stollenverteilung an die Schulkinder statt, während die eigentliche Bescherung erst am Ersten Weihnachtsfeiertag frühmorgens erfolgte – mit nach gegenwärtigem Ermessen geradezu unscheinbaren Geschenken, je nachdem eben wie es die jeweilige Familie im Vermögen hatte. Mancher einzige Sohn eines reichen Bauern bekam schon vor 150 Jahren ein Grammophon oder eine kleine Dampfmaschine, manche gutsituierte Bürgerstochter einen Puppenwagen, gar eine richtige Kinderküche geschenkt. In dem kleinen Dorf Seibis dagegen, dessen Einwohner sich ihr Brot sonst in Blankenstein, Harra und Lemnitzhammer verdienen mußten, kehrte das ›Christkindle‹ oft nur ›mit kleinen Gaben‹ ein. Die Sehnsucht nach einem schönen Geschenk aber versuchte man anderswo zu stillen, weswegen die größeren Kinder, wenn sie schon vor dem Feste das ›Christkindle schauen‹ wollten, des Sonntags durch den tiefen Schnee hinüber nach Lichtenberg wateten, um dort die mitunter schön illuminierten Schaufensterauslagen zu bewundern.4

In den Haushaltsrechnungen der alten Zeit finden sich die größten Ausgabenposten der unzähligen damals noch ziemlich autark wirtschaftenden Bauernhöfe stets in der Weihnachtszeit verzeichnet, jedoch weniger für Geschenke als für Gewürze für die Weihnachtsbäckerei – soweit man freilich 1-2% des Jahreseinkommens, gewöhnlich selten mehr als 2-3 Gulden als große Ausgabe betrachten kann. Die Mägde und Knechte erhielten zu Weihnachten mitunter eine neue Schürze oder Mütze, ein paar dicke Strümpfe bzw. Arbeitshandschuhe oder Stopfgarn geschenkt. So bekam etwa zu Weihnachten 1857 der Verwalter eines hiesigen Rittergutes von seiner Herrschaft eine teure Uhrkette ausgehändigt. Im Folgejahr betrug die Weihnachtsausgabe für die 3 Mägde des Gutes außer dem ausbedungenen Weihnachtstaler noch zusätzlich 1 Taler 18 Groschen. 1861 erhielt der Verwalter zu Weihnachten 10 Taler in bar, die Knechte und Mägde außer ihrem Weihnachtstaler noch einen weiteren Taler. 1861 dagegen schenkte die Frau Baronin ›der Marie einen Rock und der Alma einen Rock‹ für zusammen 3 Taler 6 Groschen.

Heutzutage findet die Bescherung schon am Heiligabend statt. Als Überbringer der Geschenke gilt den Kindern im Oberland inzwischen der Weihnachtsmann, ›jener weißbärtige Alte aus dem Walde‹, der wie alle guten Geister durch den ›Geistereingang‹ des Schornsteins kommt.

Im Gegenzug zum klassischen Gänsebraten am Ersten Weihnachtsfeiertag ist das Mahl zu Heiligabend mittags wie abends oft ein geringes, in unserer Region traditionell Hering mit Salzkartoffeln, inzwischen vielerorts Kartoffelsalat und Wiener resp. die von unseren Fleischern nur für die Festtage hergestellten Weißwürste. Um der ursprünglichen Tradition dennoch nichts zu vergeben, kommt oft noch die obligatorische Konservenbüchse mit Hering oder Dorschleber auf den Tisch. In alten Tagen hat man die Heringsköpfe hinterher sogar noch abgeschnitten und an die Decke gehängt. Wenn später eine Kuh oder eine Milchziege Junge bekam, hat man ihr die Heringsköpfe dann zu fressen gegeben. Vierorts wurde dem Stallvieh ein besonderes Büschel gebunden, in dem jede Art Stroh und sonstigen Futters enthalten sein mußte, optimal neunerlei. Das mußte dem Vieh um Mitternacht aufgesteckt werden.

An altem Brauchtum und Reglements zu Heiligabend sind zu nennen: Bis zum Einläuten der Christmette müssen alle Vorbereitungen erledigt sein. Das Füttern der Tiere muß beendet, alles Notwendige an seinem Platz sein. Die Wäsche hatte gewaschen, das Brot oder der Kuchen gebacken, Spinnrad und Werkbank abgeräumt, überhaupt Haus und Hof reinweg aufgeräumt zu sein. Keine Mistgabel und keine Harke und schon gar keine volle Mistkarre durfte auf dem Hofe stehengelassen werden. Wer nach dem Christläuten hinterher [und überhaupt die Heilige Zeit über] Wasser hinausschüttet, muß im kommenden Jahr genausoviele Tränen vergießen.

Ein bis 1746 in Saalburg gepflegter Brauch war, daß der Kirchendiener am Heiligabend zur Spendensammlung eine Christkindpuppe von Haus zu Haus trug, die dann von Weihnachten bis Lichtmeß [2. Februar] auf dem Altar aufgestellt wurde. Die Jugend ging an diesem Abend auf die Straße und versuchte einen Gänserich für das Orakel zu fangen. Was man in der Christnacht auf einem Kreuzweg hört oder sieht, das geht in Erfüllung. Auch haben die Tiere in der Christnacht und in der Dreikönigsnacht eine Stimme. Wer mit einer Frage an den Stall tritt und horcht, kann durch Muhen, Blöcken, Quieken bzw. Stampfen auf jeden Fall eine Antwort bekommen. Oder aber die Tiere erscheinen im Traum und sprechen zu ihren Menschen. Ähnlich wie beim Osterwasser gibt es auch den Brauch des Weihnachtswasserschöpfens.5

Über den Autor
Alexander Blöthner M. A. (phil.), gebürtig in Plothen bei Schleiz, hat an der Universität Jena ein ›Studium Generale‹ mit Schwerpunkt auf Geschichte und Soziologie absolviert und verfasst Bücher über Lebensphilosophie, Sagen, Orts- und Regionalgeschichte, Landschaftsmythologie als auch Alltags-, Sozial- und Wirtschaftsgeschichte. Autorenwebseite: Sagenhafte Wanderungen

1 Michel 1998, S. 199
2 Storl 2006, S. 195
3 Vgl. Michels 1998, S. 199
4 Vgl. Behr 1927, S. 28
5 Vgl. Hackl 2004, S. 197-200; Storl 2014, S. 28; Zu Weihnachten siehe auch Brückner 1870, S. 177, 664; Richard Mendner: Die kirchlichen Sitten und Gebräuche in der Herrschaft Burgk rechts der Saale bez. in den Parochien Crispendorf, Möschlitz, Neundorf und Plothen des Fürstentums Reuß ä.L., Leipzig 1913; Martin Müller: Die Christmette zu Plothen, in: Im Land der Tausend Teiche – Bilder und Schilderungen aus der Plothener Seen-Platte [Oberland-Reihe Nr. 6], Schleiz 1929; Oberlandhefte 1927/3, S. 21; Ebenda 1931/11:221f.; Robert Hänsel: Die Christmette in Kirschkau im 18. Jahrhundert, in: Reußischer Erzähler, Nr. 26 (24.12.1934); Derselbe: Das Weihnachtsfest 1758 in Schleiz, in: Ebenda, Nr. 26 (24.12.1936); Derselbe: Ein Verbot des Weihnachtsbaumes, in: Ebenda, Nr. 26 (23.12.1933); Derselbe: Die Christmetten in Lobenstein in früherer Zeit, in: Unsere Heimat – Beilage zur Reußischen Landeszeitung, Lobenstein 1932, Nr. 5f.; Friedrich Barthel: Von Tannebaum und Zuckermännel, in: Amtsblatt der Verwaltungsgemeinschaft Saale-Sormitz-Höhen, Jg. 2, Nr. 12 (20.12.1996); Volker Reetz: Die Weihnachtszeit, in: Ebenda, Jg. 4 (11.12.1998); Blöthner 2012, S. 15f.

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