Ist der erste Feiertag explizit der Familie und der zweite (in der Regel mit Besuchen) der nahen, nicht im Hause oder mit im Wohnort lebenden Verwandtschaft vorbehalten, so trat das Weihnachtsfest am Dritten Feiertage vom privaten in den öffentlichen Raum: Vielerorts fanden Straßenumzüge, teils mit fastnachtsartiger Vermummung und Böllerei statt. Auch begann auf dem Tanzsaal ein mitunter über drei Tage währender Ball, wo mancher kurz zuvor erst empfangene Weihnachtstaler wieder dahinging.
Worauf sich die größere Dorfjugend, also die über 18-jährigen, aber schon das ganze Jahr über freute, war ein ehedem in ganz Ostthüringen gepflegter Brauch, nämlich das sogenannte ›Tängeln‹ oder ›Dengeln‹, das wilde Durchfahren fremder Gesichter mit grünen Zweigen, wobei zu fortgeschrittener Stunde aus diesen ›heiligen‹ Fruchtbarkeitszweigen mitunter furchterregende Schlagwerkzeuge werden konnten.«1 Zunächst einmal unternahm die große Jugend mit dem ersten Hahnenschrei einen Heischegang durchs Dorf, wobei den Familien der großen Mädchen die jeweils größte Geberpflicht oblag. Ein Bursche war mit einem Flederwisch ausgerüstet, ein weiterer mit einen Tannenzweig, der eine Blume trug, ein dritter mit einen Korb für die Gaben und ein vierter mit einen Glasbehälter in den aller gespendeter Branntwein, Likör und scharfer Kräuterschnaps unterschiedslos hineingeschüttet wurde (was wahrhaftig eine recht wunderliche Mischung) ergab) für das sich anschließende Gelage der sogenannten ›Dengelgesellschaft‹. Bei diesem Heischen leierten die Burschen Sprüche wie es etwa aus Schmiedebach überliefert ist: ›Tängel, Tängel gute Frau, gib mir halt was von der Sau!‹. Die Teilnahme an diesem Heischegang wie auch am Dengeln war – wie in Drognitz noch erzählt wird – Pflicht, sonst mußte eine Geldstrafe gezahlt werden. Das Dengeln selbst beinhaltete ein symbolisches Schlagen der Mädchen mit Wacholderzweigen und anderem ›Gestreichrich‹, dem sogenannten ›frischen Greene‹.2
Anschließend machte es sich die große Jugend – wie etwa in Liebengrün – in einer, von den Bauern angemieteten heizbare Stube gemütlich und feierte in großer Ausgelassenheit (an Schlaf war in der Nacht kaum zu denken) über mehrere Tage ihr großes Jahresendfest. Gingen Speisen und Getränke oder das Holz zum Heizen zur Neige, wurde ein erneuter Heischegang unternommen Indem die zusammengeschnorrten Gaben gemeinhin nicht hinreichten, gaben sich die Mitglieder der Dengelgesellschaft bei jeder möglichen Gelegenschaft (etwa bei falschem Austrinken, oder zeitweiliger Nichtanwesenheit, um etwa mit dem oder der Geliebten allein zu sein) Disziplinarstrafen, um Geld zur Fortführung ihres Gelages zu gewinnen. Getrübt wurde ihre Freude dadurch nicht, wohl aber mußten sie stets auf die halbwüchsige, noch nicht zum Fest zugelassene Dorfjugend achten, welche die Großen auf Schritt und Tritt umlauerte und versuchte, zu deren Lasten kleinen und größeren Unfug zu verüben. Am Neujahrsmorgen zogen die Burschen der Dengelgesellschaft wiederum verkleidet durchs Dorf, um die Essensvorräte für die nächsten Tage zusammenzubekommen. Wie am Dritten Feiertag die Burschen bei den Mädchen, so waren es an diesem Morgen endlich die Mädchen, die bei den Jungen ›dengelten‹ und nun ihrerseits jedem von ihnen mit einem Wachtelbusch durchs Gesicht fuhren und ihnen ein gesundes Neues Jahr und eine ›eracht schine Braut‹ wünschten. Danach bewirteten wie etwa in Liebengrün die Burschen die Mädchen mit Pfefferkuchen und Punsch. Erst nach dem Läuten im Hohen Neujahr wurde das ›Dengeln‹ beendet.3
War das Dengeln mit deutlichen Anzeichen früheren Fruchtbarkeitskults behaftet, so erinnerte der etwa in dem Dorfe Molbitz bei Neustadt/Orla bis zum Ende des 19. Jahrhunderts gehaltene alljährliche Umzug des Schimmelreiters eindeutig an heidnische Sonnwendbräuche: Dabei prozessierten als Schimmelreiter, als ›Beiaß‹, als Bärenführer, als Barbier, als Balsenträger, als Essenkehrer u.a. verkleidete Gestalten durch den Ort, zogen vor jedes Haus und ›belästigten‹, jeder auf seine Weise, die Bewohner, um Essen und starke Getränke zu erheischen, die am Abend bei einem gemeinsamen Dorffest auf dem Tanzsaale verzehrt wurden.4 Wie großartig, aber auch wie derb das ›Dengeln‹ im 19. Jahrhundert gehalten worden sein muß, zeigt eine Eingabe eines Gemeindepfarrers vom 24. Dezember 1837, worin es über das wüste Treiben heißt: »Es ist von alten Zeiten und bisweilen auch noch von der Jugend hiesigen Ortes alle dritte Weihnachtsfeiertage ein ungebührlicher in tierischer oder sonst höchst lächerlicher Verkleidung bestehender Umzug gehalten worden, wobei die guten Sitten gar sehr litten, indem die jugendlichen Gemüter durch Saufen … erhitzt, alle und jede Schranken des Anstandes und der guten Sitten aus den Auge setzten und oft Wahnsinnigen gleich ihre … Späße auf offener Straße unter sich, beiderlei Geschlechts, trieben, sodaß es auch vor etlichen Jahren zu Schlägereien und Blutvergießen gekommen. Eine schon einmal diesbezüglich erlassene Untersagung wurde nicht befolgt. Der Kirchenvorstand gebietet nun dem Ortsvorstand, diesen schlechten und den hiesigen Ort entehrenden Gebrauch nach allen Kräften Einhalt zu tun, da derselbe auch so schädlich, so verderbend auf die Schuljugend wirkt.«5 Nach dem Ersten Weltkrieg ging das Dengeln allenortens immer mehr zurück, bis zuletzt nur noch ein Zug Jugendlicher an einem der Weihnachtsfeiertage schnorrend durchs Dorf zog. Erhalten geblieben ist von dem alten Brauch hier und da schließlich nur noch das gemeinsame Essen und Trinken der Dorfjugend am Heiligabend im örtlichen Jugendraum.
1 Horst Zippel: ›Andreas ich bitte dich … !‹ – Brauchtumshandlungen in der Vorweihnachtzeit: Eine volkskundliche Betrachtung, in: Heimatjahrbuch des Saale-Orla-Kreises 2008, S. 157; Siehe auch Ernst Stahl: Folklore in Thüringen – Tänze, Sitten, Bräuche, Band 1, (Hg. v. Bezirkskabinett für Kulturarbeit Erfurt, Thüringer Folklorezentrum), Arnstadt 1979, S. 35f.
2 Vgl. Gudrun Braune: Feste, Bräuche, Geselligkeit – Zäsuren in einem schier unendlichen Arbeitsalltag, in: Volkskundliche Beratungs- und Dokumentationsstelle für Thüringen (Hg.): Vom Leben im Oberland (Beiträge des Kolloqiums ›Alltagsleben in der Region Thüringer Schiefergebirge/Obere Saale – Wandlungsprozesse auf dem Wege zur Industrialisierung im 19./20. Jahrhundert‹ in Leutenberg), Erfurt 2013, S. 100
3 Vgl. Herbert Althans: Sitten und Gebräuche: das ›Dengeln‹ – Ein Zwölf-Nächte-Brauch in der ›Grüne‹, in: Heimatjahrbuch des Saale-Orla-Kreises 2002, S. 92-96
4 Vgl. Fritz Haardt: Molbitz und der Umzug des Schimmelreiters, in: Autorenkollektiv: Zwischen Saale und Orla – Heimatbuch des Kreises Pößneck, Pößneck 1957, S. 190f.
5 Pfarrarchiv Weira, zitiert bei Hans Telz: Zusammenfassung des Dorfes Weira aus seinem Geschichtsmaterial, Meilitz 1975