Abgesehen von diesen epidemischen Schrecknissen haben auch ansteckende Erkältungs- und Kinderkrankheiten faktisch alljährlich in beinahe jedem Ort Tote gefordert und zwar dermaßen, dass in einem 400-Seelendorf 10 bis 15 Kinder an verschiedenen Krankheiten, insbesondere an den Masern starben. Dass Menschen am Morgen noch wohlauf, am nächsten Tag aber schon tot sein konnten, war keine Seltenheit und mag die übergroße Bedeutung der Religiösität für die damalige Bevölkerung mit erklären helfen, ebenso die besinnlichen Tendenzen in der zeitgenössischen Literatur, wo man sich – im vollkommenen Gegensatz zu heute – dem Tod noch tapfer und gottesfürchtig gestellt hat. Zum Beispiel dafür lässt ein Neffe und Schüler des bekannten, aus Köstritz stammenden Begründers der neueren deutschen Musik, Heinrich Schütz [1585-1672], der im Jahr 1600 zu Lobenstein geborene Heinrich Albert, in seinen Kürbisversen einen Kürbis über die Vergänglichkeit des Lebens resümieren: »Ob ich gleich muss bald von hier, kriegst Du dennoch Frucht von mir; wenn man Dich Mensch einst wird begraben, was wirst Du für Früchte haben!«1
In den letzten beiden Dekaden des 17. Jahrhunderts kam es, bedingt durch eine sporadische kleine Eiszeit mit Klimaverschlechterung und Missernten, verbunden mit gebietsweisen Truppendurchzügen nach Kriegsschauplätzen in West- und Südosteuropa zum Wiederaufflammen sowohl von Epidemien als auch des Hexenwahns. 1683 kam die Pest ins Greizer Land. Allein in Greiz starben 202 Menschen daran. In Schleiz deuten in den Jahren 1686 und 1691 erhöhte Sterberaten auf eine Epidemie hin. In Hof starben 1689/90 115 Menschen an der wahrscheinlich von durchziehenden Truppen eingeschleppten Ruhr, einer, mit dem Typhus, der gefürchteten ›Kriegspest‹, vergleichbaren Krankheit. 1693 entstand in Gera angeblich aus der dort niedergefallenen und verendeten Heuschreckenmasse die Pest. Wohl im Zuge des Nordischen Krieges [1700-1721] lassen sich für die Jahre 1705, 1711/12, 1719 und 1725/26 in Schleiz wieder erhöhte Sterberaten, bis zu 100% über dem Durchschnitt, feststellen. Um 1710 war überhaupt die Zeit, wo im Gefolge dieses Krieges die Pest wieder ins Land kam und zu ihrem bislang letzten großen Anlauf durch den Kontinent anhob. 1709 wütet sie in Danzig, 1711 in Kopenhagen, 1712 in Hamburg und 1720/22 in Marseille. Danach erlosch die Seuche endlich in Europa. Der Grund für das plötzliche Verschwinden des Pesterregers ist nachwievor ungeklärt. Obwohl dieser, eine kleine Bakterie namens ›Yersinia pestis‹, im Jahre 1897 von den beiden Forschern Kitasato und Gersin nachgewiesen und später sogar ein Impfstoff dagegen entwickelt wurde, überläuft allein bei dem Gedanken an die Pest noch heute viele Menschen ein Schauer. Als etwa 2015/16 ein internationales Forschungsteam unter Leitung des Max-Planck-Instituts für Menschheitsgeschichte in Jena europaweit alte Massengräber öffnen ließ, um mittels dort entnommener Proben die Entwicklungs- und Verbreitungsgeschichte des berüchtigten Pesterregers zu untersuchen,2 hat allein die Meldung davon in Teilen der Bevölkerung für Beunruhigung gesorgt. So tief waren die schrecklichen Pestzeiten der Vergangenheit im kollektiven Bewusstsein der Menschheit noch immer eingegraben.
1 Autorenkollektiv: Beiträge zur Geschichte der Stadt Gera – Eine Festausgabe zur 700-Jahrfeier (Bearbeitet von Alfred Auerbach, Hans Friese, Karl W. Herig, Rudolf Hundt, Ernst Paul Kretschmer, Waldemar Weber, Karl Jeuch), Gera 1937, S. 109
2 Vgl. Heimat- und Geschichtsverein Mohlsdorf 2002; Petra Mader: Schwarzer Tod hat Ursprung im Gestern: Jenaer Experten untersuchen Verbreitung der Pest, in: OTZonline (12.06.2016); Y. K.: Pestopfer oder Mordopfer (eine archäologische Ausgrabung in Neustadt an der Orla), in: Neustädter Kreisbote 2005, Nr. 22
Aus: Alexander Blöthner: Der Dreißigjährige Krieg in Thüringen [1618–1648] Östlicher Teil: Reuß, Orlagau, Schwarzburg, Holz- und Osterland, Norderstedt 2018, S. 33-48. (in oberlandbezogenen Auszügen)