Von Altem Brauchtum: Tod und Beerdigung

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Am vergangenen Sonntag gedachten die Protestanten ihrer lieben Verstorbenen und deren Gräber erhielten eine schmuckvolle Wintereindeckung. Es war der 25. Sonntag nach Trinitatis und das Ende des alten Kirchenjahres, denn kommenden Sonntag ist schon der erste Advent. Während der Gemeindekirchenrat seine – in aller Regel mit einem Festessen aus der Kirchenkasse verbundene Rechnungsstellung hielt, erfolgte die des Bürgermeisters und der Gemeindebeisitzer erst zu Ephiphanias (6. Januar) des kommenden Jahres.

Brauchtum um Tod und Beerdigung

Zum Totensonntag bietet es sich an, ein wenig aus dem Brauchtum unserer Vorfahren um Sterben, Tod und Begräbnis zu erfahren: Wie uns der Heinersdorfer Lehrer Franz Harnisch bald nach dem Jahre 1900 aufgezeichnet hat, war der Glaube an Gespenster, Teufel usw. bei den Wäldlern des Oberlandes seinerzeit noch überall anzutreffen und nicht auszurotten. Über keine anderen Punkte sei mit den Bauern schlechter zu streiten gewesen als über diese: »Wer bei Lebzeiten irgendeine böse Tat begangen hat, die nicht ans Licht gekommen ist, muß nach dem Tode ›umgehen und geistern‹, und kann so lange keine Ruhe finden, bis – vielleicht nach vielen Jahren – dasjenige Menschenkind kommen wird, dem die Bestimmung ge-worden, den bösen Geist zu erlösen. Haben noch Lebende Anteil an der bösen Tat des umgehenden Geistes oder haben sie den Verstorbenen selbst dazu verleitet, so hockt er ihnen nachts auf und quält und beunruhigt sie auf alle mögliche Weise. Hat der Verstorbene ein getanes Gelübte nicht erfüllt – ganz besonders solche gegen die Kirche –, so muß sein Geist so lange ruhelos auf der Erde wandeln, bis die Hinterbliebenen dem Versprechen des Toten nachgekommen sind.

Die als Wöchnerin verstorbene Mutter hält es im Grabe nicht aus. Sie muß allnächtlich sechs Wochen lang ins Haus zurückschleichen, um – von keines Sterblichen Auge erblickt – ihr überlebendes Kind zu nähren und nachzusehen, ob es die Hinterbliebenen gut versorgen. … Der Bauer gibt daher solchen Toten Schuhe mit ins Grab, damit sie sich die nackten Füße nicht wundlaufen. Wie der Tote zum Hause zurückkehrt, so holt er auch in anderen Fällen einzelne Familienmitglieder zu sich ins Grab.

Lange Zeit vorher, ehe ein Todesfall eintritt, spukt es im Hause, und betrifft es ein geachtetes und geliebtes Familienmitglied, so verspüren auch Verwandte und Nachbarn ein geheimes gespenstisches Regen in ihren Häusern, wovon das Volk sagt: ›Es eignet sich.‹ Man hört die Totenuhr picken; der Totenvogel – Käuzchen, Strix noctua – schreit nachts in der Nähe des Hauses; im Hofe selbst klopft und lärmt es: ›Hunde und Katzen greinen‹; die Glocken gehen dumpf und traurig, und die Leute haben garstige, schwere Träume. Der Schreiner hört die Säge klingen – ein Anzeichen, daß es einen neuen Sarg zu machen gibt – , und die Schaufel des Totengräbers regt sich, als wisse sie, daß sie bald in Tätigkeit gesetzt werde. In Lobenstein hält man es für ein schlimmes Zeichen, wenn der Stundenschlag der Kirchturmuhr mit dem der Rathausuhr zusammentrifft. ›Da stirbt jemand in der Stadt‹, geht’s geheimnisvoll von Mund zu Mund. – Am Sylvesterabend hat der Schatten desjenigen, der im folgenden Jahre sterben muß, keinen Kopf in dem Augenblicke, wo Licht in die Stube kommt.

Solange der Tote noch im Hause ist, werden verschiedene abergläubische Bräuche beachtet. Man muß den Verstorbenen in dem Stockwerk des Hauses stehen lassen, wo er gestorben ist, darf ihn weder höher noch tiefer seine letzte Ruhe im Hause anweisen. An manchen Orten z.B. in Titschendorf, schon im Maingebiet gelegen, herrscht noch die Sitte, daß der Tote ›besessen‹ wird. Jeden Abend vor dem Begräbnis finden sich die Verwandten und viele andere Bewohner des Dorfes im Trauerhause ein und bleiben oft bis gegen Morgen da sitzen, wobei sie mit Bier und Schnaps bewirtet werden. Bei der Leiche muß die ganze Nacht hindurch ein Licht brennen, und damit nichts ›Böses‹ Gewalt über sie habe, legt man eine Schere und ein Gesangbuch in ihre unmittelbare Nähe. Stirbt der Hausherr, so muß man an die Bienenstöcke klopfen und den Bienen den Todesfall ansagen; auch darf man nicht vergessen, daß auf dem Boden liegende Getreide umzurühren. Auf die Leiche darf keine Träne fallen; sonst findet sie keine Ruhe im Grabe. Beim Forttragen der Leiche aus dem Hause muß der Tisch dreimal hintereinander umgekehrt werden, und das liegende Vieh im Stalle muß man auftreiben. Der Sarg wird auf der Schwelle der Haustür dreimal leise niedergesetzt, damit der Verstorbene seine irdische Wohnung leichter verlasse. Stirbt der Herr oder die Frau des Hauses im zunehmenden Monde, so geht die Wirtschaft nicht rückwärts; bei abnehmendem ist´s umgekehrt. – Die ältesten und eigenartigsten Sitten des Hauses treten eben hervor, wenn die Leiche im Hause ist. Der aufgeklärte Mann spottet wohl sonst über die abergläubischen Bräuche des Hauses, aber er beobachtet sie doch selber ganz unwillkürlich bei Todesfällen.

Wer sein Eigentum durch Versetzen der Grenzsteine vergrößert, findet nach dem Tode keine Ruhe und muß als feuriger Mann, oft ohne Kopf, an der Grenze des auf Kosten anderer vergrößerten Grundstücks auf- und abwandeln. … Dem Meineidigen wächst die Hand aus dem Grabe oder verdorrt ihm schon im Leben, dieselbe Strafe trifft Kinder, die die Hand gegen ihre Eltern erheben.

Die Irrlichter sind die Seelen ungetaufter umgebrachter Kinder, die sich meistens in der Nähe der Orte sehen lassen, wo die Leichen der Kinder verborgen werden. Das Volk hat eine höllische Furcht vor denselben und kennt eine Menge Sagen, in denen sie als neckende Geister den Menschen allerlei ›Schabernack‹ antun. Besonders gern führen sie die Leute oft ganze Nächte hindurch in der Irre herum und nur durch grobes Fluchen soll man sie von sich bringen. Man ist nicht einig darüber, ob sie zu den bösen Geistern zu zählen sind, weil sie die Menschen necken, oder zu den guten, da sie im Leben noch keine Sünde tun konnten. …«1


1 Franz Harnisch: Etwas von Sitte und Brauch sowie vom Aberglauben auf dem Frankenwalde – Zum größten Teil nach Aufzeichnungen des verstorbenen Lehrers Franz Harnisch in Heinersdorf (Reuß j. L.), in: Thüringen in Wort und Bild (Hg. von dem Thüringer Pestalozzivereinen), Berlin 1910, S. 159ff.

Über den Autor: Alexander Blöthner M. A. (phil.), gebürtig in Plothen bei Schleiz, hat an der Universität Jena ein ›Studium Generale‹ mit Schwerpunkt auf Geschichte und Soziologie absolviert und verfasst Bücher über Lebensphilosophie, Sagen, Orts- und Regionalgeschichte, Landschaftsmythologie als auch Alltags-, Sozial- und Wirtschaftsgeschichte. Sein neuestes Buch: „Wetterextreme im Reußischen Oberland“. Autorenwebseite: Sagenhafte Wanderungen


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