Von altem Brauchtum: Silvester

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Silvester ist eine neuere Erfindung. Auch wenn dieser Tag allerhand Brauchtum früherer Jahreswechselfixpunkte an sich gezogen hat, unterbricht dieser Tag den Reigen der Rauhnächte jedoch nicht. Die Kirche widmete ihn ihrem heiliggesprochenen Papst Silvester [†335] – dem Schutzpatron der Haustiere und Helfer für ein gutes Futterjahr. Am Morgen des Silvestertages unternahm der Bauer traditionell einen Spaziergang zu seinen Grenzsteinen. Zum Zeitpunkt des Mittagsläuten [andere taten dies schon am 24. Dezember] umwickelte der Landmann, ohne ein Wort dabei zu sprechen, die Apfelbäume mit Strohbändern, damit sie im kommenden Jahr tüchtig tragen sollten. Im Frühjahr wurden die Bänder dann verbannt. Oder er schimpfte mit fruchtverweigernden Obstbäumen, bedeutete ihnen, sie sonst umhauen zu müssen und setzte ihnen noch eine letzte Frist.

Mehr noch wie die anderen Rauhnächte besitzt auch die Silvesternacht hat noch heute etwas Magisches und Geheimnisvolles. Das rosarote Glücksschweinchen verweist auf den Eber, das heilige Tier des germanischen Fruchtbarkeitsgottes Frey, der zu Jul geopfert wurde. Das Hufeisen als Glücksbringer erinnert an Wotans Wilde Jagd. Mit Lärm sollten in der Silvesternacht böse Geister verscheucht werden. Man aß oder mied an diesen Tagen Gerichte, die einst als Götter- oder Geisterspeisen galten. Hirse sollte reich machen, Linsengerichte viel Geld ins Haus bringen, gekochte Erbsen dagegen die Münzen wegrollen lassen. Im Thüringer Wald servierte man Kartoffel- und Mehlbrei, die Lieblingsspeise der Frau Holle. Das Vieh bekam wie zu Weihnachten von allen Fruchtarten zu fressen, damit es nicht behext wurde.

»Am letzten Tag des Jahres hat auch seit altersher das gemeinsame Essen im Kreis der Familie eine besondere Bedeutung. Der Tag wird festlich und gemütlich begangen. Die Familie mit Verwandten und Freunden schützte den einzelnen und schloß gewissermaßen einen Kreis um ihn, durch den kein Dämon eindringen konnte.«1 »In Altengesees herrschte früher der Glaube, am Silvesterabend müsse der Schatten, der im Zimmer versammelten Personen beim Lichtanzünden einen Kopf haben, sonst sterbe eins.«

Noch in den 1920er Jahren hat man den Jahreswechsel etwa in Saalburg auf folgende Weise begangen: »Die alte Turmuhr schlägt halb fünf. Es ist noch eine halbe Stunde Zeit bis zum Nachtläuten. Bis dahin müssen – wie am Heiligabend auch – alle Wasser hinausgeschüttet sein. Um fünf Uhr gehen die Leute zum Abendmahl, denn sie wollen sich ihre Sünden, die sie im alten Jahr getan haben, vergeben lassen. Danach beginnt das Fest. Die Weingläser werden bis zum Rand mit Grog gefüllt; und man läßt es sich gut schmecken. Die Zeit vergeht, und die zwölfte Stunde naht heran. Als es dann endlich zwölf schlägt, läßt man die Glocken vom Kirchturm her erschallen und läutete das alte Jahr aus. Die Musikanten spielen erhabene Stücke. Der Gesangverein hebt zu manch feierlichem Lied an. Gegen viertel Eins läutet man das neue Jahr ein. Manche Leute gießen Blei durch einen Erbschlüssel in eine Schüssel Wasser. Wenn sie dann die Figuren aus dem Wasser holen, wollen sie daraus sehen, was ihnen im neuen Jahr passiert. Junge Mädchen, die wissen wollen, was ihnen im neuen Jahr begegnet, legen neunerlei auf den Tisch, nämlich Asche, helles und trübes Wasser, Kohle, Kranz, Ring, Erbschlüssel, Puppe und Ring. Jedes hat seine Bedeutung. Jeder Gast, der um den Tisch geht, bekommt die Augen verbunden. Man muß dreimal um den Tisch gehen und eins der Sachen greifen. Wenn eines der jungen Mädchen etwa einen Kranz ergreift, wird es noch dies Jahr heiraten. Furchtlose gehen an Kreuzwege und holen ihre Erbspiegel [auch Erzspiegel, Erdspiegel], die sie am Andreasabende eingelegt haben. Bevor es zu Bett geht, wird noch einmal tüchtig auf den Ofen gelegt, denn wenn das Feuer ausgeht, so geht im nächsten Jahr auch das Geld aus.«2

Das Wetter in den kommenden zwölf Monaten erfährt der Bauer durch das Zwiebel-Orakel. Genau zur Stunde der Jahreswende schneidet er eine Zwiebel in zwei Teile. Aus den Hälften macht er je sechs Schalen, die die zwölf Monate des neuen Jahres symbolisieren, und stellt sie in einer Reihe auf dem Fensterbrett auf. In jede Schale wird vorsichtig die gleiche Menge Salz gegeben. Während der ganzen Handlung muß man allein sein, darf dabei nicht angesprochen werden und soll hinterher gleich zu Bett gehen. Am nächsten Morgen inspiziert man dann die Zwiebelschalen: In manchen hat sich viel Wasser gebildet; einige sind fast trocken geblieben. Das sind dann Hinweise auf Regen­reichtum oder Dürre in den entsprechenden Monaten.3 Ein weiterer Brauch, etwas über die Zukunft zu erfahren, ist das ›Horchen‹. Der Sagen- und Vorzeitforscher Robert Eisel schreibt noch 1871 darüber: »Nicht wenige gehen horchen, um die Zukunft zu erforschen, besonders Sonntagskindern soll es glücken. Es kann in den Zwölf Nächten, am Weihnachts- und am Neujahrsheiligenabende oder zu Walpurgis, nachts zwischen elf und zwölf gehorcht werden, sei es nun auf einem Kreuzwege oder Saatfelde, am Ofenloche oder an einem Fenster sich befinden, wo man horchen will, auch darf der Horchende während der Stunde, da er zum Fenster hinaussieht, will er nicht selbst Schaden nehmen, sich durchaus nicht umsehen. … Die Horchenden erblicken Leichenzüge, die aus den Häusern kommen, wo eins sterben wird, auch schwebt wohl ein Sarg über solchen Häusern. Oft werden auch Särge vorübergetragen. – Ihre Zahl entspricht dann der Zahl der Sterbefälle, die sich künftiges Jahr im Ort ereignen werden. Fernes Geschrei deutet Krieg, Glockenläuten Feuer an, auch merke man sich wohl, was von den Stimmen, die sich redend vernehmen lassen, besprochen wird usw.«4 Eine alte Großmutter wußte vor etwa 80 Jahren über das Horchen noch folgendes zu berichten: »Meine Mutter war als junges Mädchen beim Horchen auch einmal mit dabei! Am Kreuzweg stellten sich Burschen und Mädel ein. Sie fassen sich an und bilden einen Kreis. Jetzt ist es elf Uhr. Was wird kommen? Sie sehen Trauerleute und einen Sarg. Ein Heuwagen fährt auf sie zu, bis die Pferde auf ihnen herumtrampeln. Wer aber hätte ausreißen wollen, wäre in dem Jahr noch gestorben. Tatsächlich hat es gebrannt, auch eine Beerdigung ist gewesen.«5 Die Pätzen Selma wollte das Horchen auch einmal versuchen, die jungen Burschen erfuhren davon und warteten. »Als sie um Mitternacht ihren Kopf zu dem kleinen Schiebefenster heraussteckte, hängten sie ihr eine Ackerpflugschleife um den Hals. Wenn sie nicht sterben wollte, durfte sie nicht reden. Eine volle Stunde hatte sie das schwere Ding umhängen, dann schrie sie um Hilfe. Am anderen Morgen behauptete sie, ein Hund ohne Kopf wäre das Dorf heruntergelaufen.«6 Und doch war das Horchen oft alles andere als ein Schabernak. So beendete denn unsere Großmutter ihre Erzählung auch mit den eindringlichen Worten: »Kinder, auch ich habe einmal gehorcht. Es kam ein großer Trauerzug Schritt für Schritt das Dorf herab, und der Sarg hing mir ganz tief zu. Mir wars, als ob auch ich mit ruhigen Gleichmut hinter ihm her ginge. Wie habe ich das später bereut! Was grub sich mir für Angst ins Herz! Wir trugen bald unsere Dorle zu Grabe. Kinder, was ich damals gelitten habe! Geht nicht zu solchen Sachen, der Herrgott meint es gut, wenn er unser Schicksal verhüllt.«7

Über den Autor
Alexander Blöthner M. A. (phil.), gebürtig in Plothen bei Schleiz, hat an der Universität Jena ein ›Studium Generale‹ mit Schwerpunkt auf Geschichte und Soziologie absolviert und verfasst Bücher über Lebensphilosophie, Sagen, Orts- und Regionalgeschichte, Landschaftsmythologie als auch Alltags-, Sozial- und Wirtschaftsgeschichte. Autorenwebseite: Sagenhafte Wanderungen

1 Michels 1998, S. 204
2 Vgl. A. Vettori: Ein Silvesterabend in Saalburg, in: Oberlandhefte 1927 (Jugendgarten), Nr. 1, S. 15f.
3 Vgl. Bernt 1995; Siehe auch Robert Hänsel: Sylvester im reußischen Oberland, in: Reußischer Erzähler, Nr. 51 (31.12.1912); Derselbe: Die Sylvesternacht in der Bergkirche – nacherzählt, in: Oberlandhefte 1927, Heft 9
4 Robert Eisel: Sagenbuch des Voigtlandes, Gera 1871, Nr. 589, 620
5 N.N.: Was Großmutter von Silvester erzählt, in: Oberlandhefte 1929, Heft 12, S. 289f.
6 Ebenda
7 Ebenda

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