Von Altem Brauchtum: Erntedank

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Eines der schönsten Herbstgedichte stammt von Rainer Maria Rilke und lautet: »Herr, es ist Zeit. Der Sommer war sehr groß. Leg Deine Schatten auf die Sonnenuhren und auf den Fluren laß die Winde los. Befiehl den letzten Früchten voll zu sein; gib ihnen noch zwei südlichere Tage, dränge sie zur Vollendung hin und jage die letzte Süße in den schweren Wein. Wer jetzt kein Haus hat, baut sich keines mehr. Wer jetzt allein ist, wird es lange bleiben.«


2. Oktober – (Erntedank): Das ehedem örtlich unterschiedlich gefeierte Erntedankfest wurde später von der Kirche auf den ersten Sonntag im Oktober gelegt, während mit dem Erntedank ursprünglich verbundenen Festlichkeiten später die Kirmes vereinnahmte. Übriggeblieben ist lediglich der Erntedankgottesdienst, welches mit der Segnung der vor dem Altar ausgebreiteten exemplarischen Ernte (jeweils die größten Früchte jeder Anbauart, früher auch der Stammgarben aus der Kornernte) verbunden ist, und dem heute vielerorts eine Haussammlung von Lebensmitteln für Bedürftige vorangeht, die dann in der Kirche im Altarbereich blumenumrankt arrangiert werden. Früher wurde die Kirche dazu noch festlich geschmückt. Am Kircheingang stellte man zudem Fichten auf.


Die Bedeutung, die der Erntedank für die Menschen der Vormoderne besessen haben muß, kann nur nach vollziehen, wer die existenzielle Bedeutung der eingebrachten Ernte in früheren Zeiten anerkennt, als die Ertragszahlen im Gegensatz zu heute exponentiell geringer und die Haltbarkeit der Nahrungsmittel ziemlich begrenzt war. Daß es gegenwärtig sogar im Oberland landwirtschaftliche Erzeuger gibt, die Getreideüberschüsse in speziellen Heizanlagen zur Energiegewinnung verbrennen, wäre unseren Vorfahren undenkbar, ja als Todsünde erschienen, welche ihres Erachtens nach unausweichlich das Strafgericht Gottes nach sich gezogen hätte.


Über den Autor: Alexander Blöthner M. A. (phil.), gebürtig in Plothen bei Schleiz, hat an der Universität Jena ein ›Studium Generale‹ mit Schwerpunkt auf Geschichte und Soziologie absolviert und verfasst Bücher über Lebensphilosophie, Sagen, Orts- und Regionalgeschichte, Landschaftsmythologie als auch Alltags-, Sozial- und Wirtschaftsgeschichte. Sein neuestes Buch: „Wetterextreme im Reußischen Oberland“. Autorenwebseite: Sagenhafte Wanderungen

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