Von altem Brauchtum: Die geheimnisvollen Rauhnächte

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Die Zeit zwischen dem 25. Dezember und dem 6. Januar kennt man weithin unter dem Namen ›Heilige Zeit‹ oder ›Zwölf Nächte‹. Wie die frühere Bezeichnung des 6. Januar als ›Hohneujahr‹ oder ›Großneujahr‹ anzeigt, begann an diesem Tag einst das Neue Jahr. Ursache für die Sonderstellung der zwölf Tage nach Weihnachten ist nicht zuletzt die Geschichte der kirchlichen Jahreseinteilung. Die frühen Christen begannen das Kirchenjahr mit dem 6. Januar. Erst im 9. Jahrhundert wechselte man auf den 25. Dezember. Es dauerte eine Weile, bis sich der neue Termin durchsetzte. So kam es, daß die zwölf Tage zwischen den beiden Daten in gewisser Weise ›zwischen den Jahren‹ lagen; daher rührt auch der Name ›Unternächte‹. Wie für alle Termine, die ›zwischen den Zeiten‹ liegen [Mitternacht, Mittag, Dämmerung] galten auch die Zwölf Nächte als günstig für die Zukunftsschau. Im Altkreis Pößneck glaubte man, Sonntagskinder könnten in den Zwölf Nächten in die Zukunft blicken, weil sie dann die Sprache der Kühe verstünden. Nach altem Glauben war die Barriere zur Anderswelt, zur Dimension der Geister und Dämonen, zu diesen Zeiten nahezu aufgehoben, weswegen sich auch gegenüber ungebetenem Besuch aus diesen Astralebenen vorgesehen werden mußte, was am Ende den Hintergrund vieler – sonst für uns vollkommen unverständlichen – Bräuche mit erklären mag. Infolge des prophetischen Charakters der Zwölf Nächte glaubte man, daß jede Nacht für einen Monat des kommenden Jahres Auskunft gebe, was mit der Zeit zu Prognosen führte, die etwa so genau waren, wie für uns heute die Horoskopspalte in den Illustrierten. Auch achte man in den Zwölf Nächten sorgfältig auf seine Träume, denn sie sind Wahrträume und treffen immer ein, wenn man sie richtig zu deuten versteht. Nach altem oberländischen Aberglauben weisen Träume von Kränzen oder Särgen auf einen Todesfall in der Familie, das Gleiche gilt, wenn man von schwarzen Beeren [Heidelbeeren] träumt. Als Todesomen gilt auch, wenn sich in den Zwölf Nächten ein Rind im Stall von der Kette losreißt, wenn ein Faßreifen platzt oder wenn die Wanduhr stehen bleibt. Ein Todesfall in den Zwölf Nächten zieht im neuen Jahr 12 Todesfälle im Ort nach sich. Starb gar ein Ehepaar, so würden im nächsten Jahr gleich 12 Paare sterben. Für den Bauern ist natürlich das Wetter von besonderer Bedeutung. Deshalb achtet er sehr genau auf die Witterung an den zwölf Tagen, denn das Wetter jedes dieser Tage entspricht genau dem Witterungscharakter des jeweiligen Monats im folgenden Jahr.

Um die Weihnachtszeit besonders um die Zwölf Heiligen Nächte herum gab es eine Menge Brauchtum und es war genau reglementiert, was an diesen Tagen zu tun oder zu lassen sei. So durfte man in den Unternächten nicht bei künstlichen Licht füttern bzw. nach Sonnenuntergang noch schwere Arbeiten verrichten, was nicht unbedingt von Übel gewesen sein muß, denn zu dem Tannaer Heimatforscher Alfred Pasold sagte zu diesem Aberglauben einmal ein Knecht, nachdem dessen Herrin mitgeteilt hatte, daß sie nicht mehr daran glaube, weil trotz alledem innerhalb eines Jahres Eltern, Mann und Sohn gestorben seien: ›Nee, das sind Aberglauben, die sind sehr schön. Da haben wir wenigstens einmal rechtzeitig Feierabend und brauchen uns mit schweren Arbeiten wenigstens kurze Zeit im Jahr einmal nicht zu schinden!‹1 Für die Frauen und Mädchen fielen während dieser Zeit die Spinnabende aus.

Ställe und Speicher wurden mit Räucherwerk, insbesondere mit Beifuß oder Wacholder ausgeräuchert. Große Wäsche durfte nicht gemacht, nach 22:00 Uhr kein Wasser mehr ausgegossen werden. Nicht einmal Wäschestücke durften in den Zwölf Nächten aufgehängt werden, weil sonst im kommenden Jahr ebensoviele Häute von gefallenem Vieh aufgehängt werden müßten. Ferner sollte man in diesen Tagen kein Brot backen und sich nicht auf einen Tisch setzen. Ställe durften nicht ausgemistet, keine Jauche gefahren werden. Wenn eine Kuh gekalbt hatte, sollte man nichts an andere verborgen usw.2

Die Rauhnächte haben also ein geheimnisvolles Flair, sie sind gewissermaßen eine Zeit des Kampfes von Licht und Dunkel. Wir wissen zwar, daß schließlich das Licht obsiegt, trotzdem machen uns die wilden Reiter Angst, die mit stürmischen Winden in diesen Wochen übers Land ziehen. Ganz Deutschland kennt den ›Wilden Jäger‹, den moosigen ›Hehmann‹ mit seinem klagenden Rufe ›Hehe!‹. Angetan in dunklem Mantel auf schnaubendem Rosse mit seinen aus kläffenden Hunden, kreischenden Raben, heulenden Hexen und ruhelos verdammten Seelen bestehenden Wiedenheer kommt er aus dem Reich der Winde und Geister und durchzieht nun bestimmte irdische Orte, » hält er in bestimmten Richtungen über Berg und Tal und oft mitten durch die Dörfer und Stuben seine Nachtjagden. … Fast kein Ort im ganzen Reußenlande wird vom Wiedenheer verschont. Unter andern soll es … in Löhma bei Schleiz von einem Gute nach der wüsten Mühle und dem Meegrund zu, in Ruppersdorf und bei Heinersdorf, von Pottiga über die Saale nach Bayern hinüber erschienen sein. Der Wanderer, der beim Heransausen des Heeres sich nicht auf das Antlitz wirft, wird ungeschleudert; der Hauswirt, der die Fenster nicht schließt, erleidet Unglück, ebenso der dasselbe höhnt.«3 Berichte von Menschen, die diese Wilde Jagd tatsächlich erlebt haben, erinnern an heutige Schilderungen von Tornados. Demnach wäre die Wilde Jagd nichts anderes als ein Synonym für den Wintersturm.

Über den Autor
Alexander Blöthner M. A. (phil.), gebürtig in Plothen bei Schleiz, hat an der Universität Jena ein ›Studium Generale‹ mit Schwerpunkt auf Geschichte und Soziologie absolviert und verfasst Bücher über Lebensphilosophie, Sagen, Orts- und Regionalgeschichte, Landschaftsmythologie als auch Alltags-, Sozial- und Wirtschaftsgeschichte. Autorenwebseite: Sagenhafte Wanderungen

1 Alfred Pasold: Geheimnisvolles in den Zwölf Nächten zu Großmutters Zeiten, in: Amtsblatt der Verwaltungsgemeinschaft Saale-Sormitz-Höhen, Jg. 4, Nr. 12 (18.12.1998)
2 Vgl. Georg Clemens: Wenn über´m Haus ein Sarg schwebt – Aberglaube in Schleiz und Umgebung, in: Kleine Heimatbliothek Nr. 8 [4/1997], S. 8; Robert Hänsel (Hg.): Jugendgarten 1-4, als Beilage zu den Oberlandheften 1927, S. 21; Reetz (11.12.1998)
3 Max Schulze: Zwölf Nächte, in: Oberlandhefte 1926, Heft 9, S. 135ff.

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