Von altem Brauchtum: Der brauchtumsarme Juli

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Der Juli galt im Oberland seit jeher als brauchtumsarme Zeit. Man konzentrierte sich auf die Heu- und Flachernte und hoffte, daß schädliche Wetter- und Hagelschläge das reifende Getreide kurz vor der Ernte nicht verderben möchten. Bei Herannahen eines Gewitters legten erfahrene Landwirte einen Donnerkeil, ein Steinbeil aus der Jungsteinzeit, aufs Fensterbrett. Es mußte auf dem Felde selbst gefunden sein, was in unserer Gegend weitgehend nur im Koseltal bzw. auf dem von Eliasbrunn bis Altengesees sich hinziehenden Höhenrücken möglich ist. Oder es mußte ›ererbt‹ sein, das bedeutete, es entfaltet nur dann seine blitzabwehrende Wirkung wenn es von einem Vorfahren übernommen worden war, der es dann durchaus auf einem Jahrmarkt erworben haben konnte. Vom Gelehrten Bauern von Rothenacker ist bekannt, daß er, um die Wetterwolken zu vertreiben, in eine große Muschel, das sogenannte ›Wetterhorn‹ hineinblies. Mehr in anderen Dörfern wähnte man sich in Weisbach gegen heranziehende Unwetter gewappnet, weil das örtliche ›Wetterkreuz‹, ein spätmittelalterliches Sühnekreuz [von mittelhochdeutsch: wetten, wette, wet → Rechtsverbindlichkeit, Gesetz], die Wetter teile und so zur Auflösung bringe. Dasselbe erhoffte man sich auch durch das sogenannte ›Wetterläuten‹: Noch zu Beginn des 18. Jahrhunderts versicherten namhafte Physiker wie Baco von Verulam oder Cartesius, daß die durch das Läuten der Kirchenglocken hervorgebrachten Schwingungen zur Zerteilung von Wetterwolken beitragen können, worauf dieser seit der Reformation vielerorts verbotene, aber dennoch gepflegte Volksbrauch offiziell wieder eingeführt wurde, sogar von aufgeklärten Regenten wie Heinrich XII. von Reuß-Schleiz, der 1761 seinen Gemeinden die Anweisung gab, daß bei nahendem Gewitter mit ›drei abgesetzten Pulsen eine zeitlang geläutet, wenn aber das Gewitter näher kommt, ganzlich damit innegehalten werden soll!‹ In dem Dorfe Zoppoten wurde das Wetterläuten erst im Jahre 1889 abgeschafft, nachdem der Lehrer beim Läuten vom Blitz betäubt worden war. In Lichtenbrunn erhielt eine neue Kirchenglocke noch 1890 die Inschrift: ›Die Lebenden rufe ich, Die Toten beklage ich, Die Blitze breche ich!‹. Auch in Lobenstein, wo 1594 eine dem Küster zustehende ›Wettergabe‹ von beträchtlichen 4 Pfennigen je Wohnhaus erwähnt ist, trägt eine 1863 gegossene Glocke dieselbe Inschrift – nur in lateinischer Sprache.1

Der Lichtenbrünner Kalender wartet in diesem Monat gleich mit zwei vorreformatorischen Heiligentagen auf, die als wichtige Lostage zur Sicherung der Ernte von höchster Bedeutung waren, und zwar Mariä Heimsuchung (2 Juli) und St. Jakobi (25. Juli): »Wie es um Mariä Heimsuchung wittert, so soll es noch vier Wochen wittern.« In der Tat kühlt das Wetter um diese Zeit oft ab, und die Jahresniederschläge erreichen einen Höhepunkt. Daher wurde allgemein geschlußfolgert: »Wenns regnet an Maria Heimsuchung, so regnets 40 Tage lang«. Selbst Rückschlüsse auf den nächsten Winter, getraute sich der Lichtenbrünner Kalender zu ziehen: »Wenn die Sonne am St. Jakobstag scheint, soll es um Weihnachten sehr kalt werden.« Überhaupt ›blüht‹ zu Jakobi der Schnee, das bedeutet, viele oder wenige Wolken an diesem Tage bedeuten viel oder wenig Schnee im kommenden Winter.2


1 Vgl.Robert Hänsel: Der Gebrauch der Glocken bei Unwettern im Reußischen Vogtlande, in: Vogtländische Heimatblätter, Jg. 17 (1997), Heft 2, S. 11f. Zitate ebenda
2 Vgl. Michels 1998, S. 152, 156; Körber 1718 bei Hänsel 1926/1, S. 10f.


Über den Autor: Alexander Blöthner M. A. (phil.), gebürtig in Plothen bei Schleiz, hat an der Universität Jena ein ›Studium Generale‹ mit Schwerpunkt auf Geschichte und Soziologie absolviert und verfasst Bücher über Lebensphilosophie, Sagen, Orts- und Regionalgeschichte, Landschaftsmythologie als auch Alltags-, Sozial- und Wirtschaftsgeschichte. Sein neuestes Buch: „Wetterextreme im Reußischen Oberland“. Autorenwebseite: Sagenhafte Wanderungen


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