Von altem Brauchtum: Bittsonntag, Flurumzüge

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22. Mai (Bittsonntag): An dem heute vielerorts als ›Missionssonntag‹ begangenen zweiten Sonntag vor Pfingsten fanden früher besondere Bittgottesdienste sowie Bittprozessionen durch die Felder statt, um eine gute Ernte zu gewinnen]. Wohl schon in den Tagen der Megalithzeit wurde das alte, den Jahreslauf darstellende Sonnenkreuz, mit frischen grünen Laub geschmückt, alljährlich »im Frühling sonnenläufig (im Uhrzeigersinn) rituell um die Felder getragen …, um diese mit Wachstum und Gedeihen zu segnen.«1 – »Die Feldbegehung im Frühjahr ist das Gegenstück zum herbstlichen Erntedank, man bittet um Fruchtbarkeit. Der zugrundeliegende Ritus ist die ›heilige Hochzeit‹ – Gott verbindet sich mit der sich öffnenden Erde.«2

Flurumzüge

In protestantischen Regionen fanden die Flurumzüge etwa zwischen Himmelfahrt, und Pfingsten statt. Anfänglich wurden sie jährlich, später im 20-jährigen Zyklus abgehalten, damit sich jede inzwischen herangewachsene Generation über den jeweiligen Grenzverlauf orientieren konnte. Das bedeutete, dieser wurde den Jungen mit harten Ermahnungen bis hin zu tüchtigen Ohrfeigen rigoros eingeschärft, damit sie ihn niemals vergessen sollten. Beim Flurumzug schritt das gesamte Dorf zusammen mit den Bewohnern des jeweiligen Nachbarortes unter Musikbegleitung die gemeinsamen Flurgrenzen ab, womit jede Gemeinde zugleich eine Art schützenden Ring um ihren Lebensraum zog. Merkwürdige Bräuche – wie das Setzen von Kindern auf den frisch gekalkten Grenzstein – erinnern an uralte archaische Rituale, ja deuten sogar auf frühere Menschenopfer an den heiligen Grenzsteinen.3 Aus den Protokollen solcher Flurgänge erfahren wir, daß die Jungmannschaft dem Zug voranzugehen hatte. Ihnen folgten die Musikanten und die Obrigkeit. Den Beschluß bildeten sämtliche Nachbarn des Dorfes. Zuweilen wurde dabei gejauchzt und gesungen, in die Luft geschossen und getrommelt. Indem diese Umzüge eine wichtige rechtliche Möglichkeit der Besitzsicherung darstellten, in dem etwa verrückte oder verschwundene Grenzsteine ermittelt und sozusagen amtlich bestätigt werden konnten, herrschte für alle Gemeindemitglieder Teilnahmezwang. So zahlten im Jahre 1724 zwei Einwohner aus Görkwitz bei Schleiz jeweils 3 Groschen Strafe, weil sie zu Pfingsten der Flurbegehung ferngeblieben waren und sich nicht entschuldigt hatten.4 Mitunter spielten sich bei den Flurgängen dramatische Szenen ab. Uneinige Gebietsnachbarn wurden handgreiflich oder gaben gar Drohschüsse ab, weswegen die Mitnahme von Flinten mancherorts verboten war, um ›Mord und Totschlag‹ zu verhüten. Wenn – wie fallweise überliefert – dann ein Knabe des einen Dorfes, von einem aus dem anderen gewatscht wurde, konnte es mitunter zu einer Großschlägerei kommen. Aus diesem Grund hielt man die versammelten Teilnehmer schon vor der Begehung dazu an, sich ›friedlich zu benehmen und alle Animositäten, die einen vernünftigen Menschen schon – geschweige einen Christen – entehren, zu verbannen.‹5

Über den Autor
Alexander Blöthner M. A. (phil.), gebürtig in Plothen bei Schleiz, hat an der Universität Jena ein ›Studium Generale‹ mit Schwerpunkt auf Geschichte und Soziologie absolviert und verfasst Bücher über Lebensphilosophie, Sagen, Orts- und Regionalgeschichte, Landschaftsmythologie als auch Alltags-, Sozial- und Wirtschaftsgeschichte. Autorenwebseite: Sagenhafte Wanderungen

1 Storl 2014, S. 24
2 Meyer 2021
3 Vgl. Blöthner 2008, S. 202; Resch-Rauter 2006
4 Vgl. Erich Wild: Geschichte und Volksleben des Vogtlandes, Plauen 1936
5 Zitiert bei Gerhard Ost: Flurumzüge in der Umgegend von Jena, in: Heimatkundlicher Kalender des Bezirkes Gera 1983, S. 47

Foto: Flurgang in Gössitz um 1900, aus Blöthner 2008, Abbildungen 77





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