Federnschleißen – altes Brauchtum im Oberland

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Ältere Menschen, sagt man, leben oft in der Vergangenheit. Was grad eben war, vergessen sie manchmal ganz schnell wieder, aber was früher war, daran können sie sich erinnern. Mir geht es nicht viel anders!

Und heute kam mir so der Gedanke an das Ferdernschleißen bei uns im Haus oder auch in anderen Bauernhäusern, wo meine Mutter sehr gerne teilgenommen hat.

Das möchte ich denen gerne erklären, die nicht viel damit anzufangen wissen:

Die meisten Bauern hielten Gänse. Sie wurden gut gefüttert, damit es in der Weihnachtszeit einen guten Braten gab. Ab und zu rupfte man ihnen die Daunenfedern vorne an der Brust heraus, die in Papiersäcken gesammelt wurden. Das tat den Gänsen aber nicht weh, weil es zur Zeit der Mauser gemacht wurde. Diese feinen, weichen Federn nannte man Daunen. Mit diesen Daunenfedern wurden früher die Zudecken und Kopfkissen für die Betten gefüllt.
Wenn Mädchen das Haus verließen, um zu heiraten, bekamen sie von der Mutter oft ein frisch gefülltes Inlett mit Daunenfedern mit. Es gehörte zur Aussteuer.

Bei uns im Dorf war es so, dass die Gänse sich am Dorfteich versammelten. Dabei verloren sie auch manchmal ihre Federn. Ältere Frauen, die keine Gänse daheim hatten, sammelten dann diese Federn auf um auch Kissen und Zudecken füllen zu können. Es war eine mühevolle Angelegenheit, aber damals durfte nichts umkommen. Das Wort „Nachhaltigkeit“ gab es nicht im Sprachgebrauch, Nachhaltigkeit wurde selbstverständlich gelebt.
Verblüffend war es für mich immer wieder, wie jede Gans am Abend ihren heimischen Stall aufsuchte. Jede wusste, wo sie hin gehört.

Aber dann, wenn vor Weihnachten die Gänse geschlachtet wurden, gab es Federn in Hülle und Fülle. Die weichen Daunenfedern kamen in extra stabile Papiersäcke und die großen Federn wurden bei uns im Haus in Kartons gesammelt. Auch sie wurden zum Befüllen des Bettzeuges verwendet. Nun denkt aber nicht, dass diese großen Federn einfach so in das Inlett gestopft wurden; nein, das wäre unangenehm geworden, weil die Kiele ja hart sind und beim Schlafen mächtig gepiekt hätten.
Also wurde ein Termin festgelegt, wo diese Federn auf den Küchentisch kamen und der weiche Teil vom Kiel abgeschlissen wurde. Dazu brauchte es viele erfahrene und fleißige Hände. 5 bis 8 Frauen, kann ich mich erinnern, saßen dann um den Küchentisch und sie verrichteten fröhlich schnatternd ihre Arbeit. Vorher schnatterten die Gänse und beim Federnschleißen die Bauersfrauen.

Gute Arbeit musste natürlich belohnt werden, und so gab es gegen Mitternacht Kaffee und Torte. Aber nicht nur eine Torte, sondern 4 oder 5. Es war also nicht nur Arbeit angesagt, sondern auch ein Vergnügen dabei, auf das sich alle Teilnehmenden freuten. Dazu ein guter Bohnenkaffee und manchmal, wenn die Arbeit fertig war, gab es auch noch ein Likörchen als Absacker. Geld gab es für die Federnschleißerinnen nicht für ihre Arbeit, weil alles auf Gegenseitigkeit beruhte.

Diese Tradition gibt es heute kaum noch, weil fast niemand mehr Gänse züchtet. In den großen Geflügelfarmen wird alles maschinell gemacht.
Das Federnschleißen fand immer in den Anfangsmonaten eines Jahres statt und war ein kleiner Höhepunkt im Alltagsleben der Bäuerinnen. Die Männer indessen verbrachten diesen Abend lieber im Wirtshaus, damit sie dem Geschnatter der Frauen aus dem Wege gehen konnten.

An eine lustige Begebenheit denke ich sehr oft:

Mein Vater war auch an so einem Abend im Wirtshaus. Um Mitternacht kam er heim, weil er ja wusste, dass es da den guten Kaffee und die leckere Torte gibt. Er setzte sich zu den Frauen an den Tisch, auf dem noch ein Berg Federn lag, der weggeschlissen werden musste. Ich saß als Jugendliche daneben. Plötzlich sah ich, wie er seine Hand unter den Federberg schob. Und im selben Augenblick wurde aus dem Schnattern der Frauen ein fürchterliches Gekreische. Sie hüpften hoch, ein Stuhl fiel um und meine Mutter stand plötzlich auf dem Sofa.
Mein Vater hatte eine Aufziehmaus unter den Federberg geschoben. Diese schnellte hervor und erschreckte die Frauen so sehr, dass die Federn durch die ganze Küche stoben. Meine Mutter war stinksauer auf meinen Vater, aber die anderen Frauen lachten sich fast kaputt, als sie merkten, dass es keine echte Maus war.

Und noch etwas zur „Nachhaltigkleit“ möchte ich hier erzählen. Die Flügel der Gänse, mit den langen Federn dran, wurden nicht etwa weggeworfen, nein, sie wurden als Flederwisch benutzt. Wer nicht weiß, was ein Flederwisch ist, der stelle sich darunter einen Handfeger vor.

An den Kielen der langen Federn blieb immer eine kleine Spitze mit Federresten dran. Diese Kiele wurden zusammen gebunden, so 5 oder 6 Stück und zu Pinseln verarbeitet. Damit wurden dann im Jahr darauf die Christsollen mit zerlassener Butter beschmiert.

Alles wurde verwendet, nix wurde sinnloser Weise weggeschmissen und mancher junge Mensch sollte mal drüber nachdenken, wie umweltbewusst die Vorfahren gelebt haben.

Brigitte Richter, Thierbach

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