Die Oberlandbahn und andere Kleinbahnen in der Region [1895–1998]

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Über den Autor
Alexander Blöthner M. A. (phil.), gebürtig in Plothen bei Schleiz, hat an der Universität Jena ein ›Studium Generale‹ mit Schwerpunkt auf Geschichte und Soziologie absolviert und verfasst Bücher über Lebensphilosophie, Sagen, Orts- und Regionalgeschichte, Landschaftsmythologie als auch Alltags-, Sozial- und Wirtschaftsgeschichte. Autorenwebseite: Sagenhafte Wanderungen

Die Entwicklung der Eisenbahn ist schnell erzählt: In England, dem Mutterland der Industrialisierung, gab es schon im 18. Jahrhundert Schienenstränge, auf denen Wagen von Pferde gezogen wurden. Um 1800 verkehrten bereits dampfbetriebene Omnibusse – wahre Ungetüme, von denen man heute bezweifeln möchte, daß es sie je gegeben hat – auf gut ausgebauten Trassen linienmäßig zwischen britischen Metropolen. Die Idee, solche Dampfwagen auf die Schiene zu bringen, wurde im Jahre 1804 von Richard Trevithick verwirklicht. Seine auf einer Pferdebahn zum Erztransport eingesetzten Dampfmaschinen zogen zwar schon eine Zuglast von 10 Tonnen und besaßen eine Geschwindigkeit von 6-8 km/h, doch bestanden noch einige Mängel, vornehmlich wegen der damals verwendeten rechtwinkligen Schienen, die unter dem Achsendruck der Lokomotiven immer wieder brachen. Erst nachdem ab den 1820er-Jahren gewalzte Schienen von größerer Festigkeit zur Verfügung standen, konnte ein gewisser George Stephenson im Jahre 1825 ein besser entwickeltes Lokomotiven-Modell zwischen den englischen Ortschaften Stockton und Darlington [20 km] zum Einsatz bringen, womit die erste öffentliche Eisenbahnstrecke der Welt eröffnet war. Wenn danach auch immer wieder Personenwagen mit Zugtieren diese Schienenstrecke entlanggezogen wurden, konnte das den Siegeszug des ›Eisernen Pferdes‹ nicht mehr aufhalten. Hatte die englische Presse noch im Jahre 1825 die Möglichkeit, daß Dampflokomotiven für Eisenbahnzüge eingesetzt werden könnten, als ›lächerlich und albern‹ verspottet, wurden die Presseleute im Jahre 1829 in Rainhill eines Besseren belehrt, als Stephensons neues Modell, die Rocket, – freilich noch ohne angehängte Wagen – 56 km/h und damit das Vierfache der Geschwindigkeit einer Eilpostkutsche erreichte.1 Bereits im Jahr darauf eröffneten die erste Eisenbahnstrecken in den USA, 1835 dann in Belgien und Deutschland [Nürnberg–Fürth].2 Interessant ist es zu erfahren, daß noch in dem Jahr, als Stevenson seinen bahnbrechenden Rekord in Rainhill aufstellte, schon Pläne existierten, einen Schienenweg längs der alten Frankenstraße von Bamberg über Nordhalben, Lobenstein, Schleiz, Auma, Gera, Leipzig und von da weiter nach Berlin und Hamburg zu bauen, womit unsere Region mit Sicherheit eine andere wirtschaftliche Entwicklung genommen hätte. Dieser Plan wurde sogar noch einmal vor dem Ersten Weltkrieg aufgegriffen. Angeblich mit der Begründung: ›Wir brauchen keine Eisenbahn. Wir fahren in der Kutsche!‹ sollen die Schleizer und Ebersdorfer Reußen die Eisenbahn in ihren Ländern damals verhindert haben, doch das ist ein Treppenwitz der Geschichte. Mit ausschlaggebend für die Nichtausführung des Projekts dürfte – von überregionalen Faktoren einmal ganz abgesehen – eher die finanzielle Schwäche, der um 1830 erst von ihrer Verschuldung durch die Kriege Napoleons befreiten kleinen Volkswirtschaften sowie das Fehlen finanzstarker Investoren vor Ort gewesen sein.3

Den Anfang des Eisenbahnwesens im mitteldeutschen Raum beschritt die Fertigstellung der ersten deutschen Ferneisenbahn-Strecke Leipzig–Dresden im Jahre 1839. Die Reisezeit auf dem 115 km langen Schienenstrang betrug beachtliche 3 Stunden und 40 Minuten. Davor waren es mehrere Tage gewesen. Entscheidend für das östliche Thüringen war jedoch eine durchgehende Verbindung zwischen Leipzig und Nürnberg, welche die Inbetriebnahme der Strecken Leipzig–Altenburg [1842], Altenburg–Crimmitschau–Werdau–Reichenbach [1844–46], Plauen–Hof [1848] und Reichenbach–Plauen [1851] herstellten. Unter dem Eindruck des mit dem Eisenbahnbau einhergehenden wirtschaftlichen Aufschwungs, wobei sich die Bevölkerung etwa von Plauen innerhalb von 20 Jahren verzehnfacht hatte, versuchten auch Auma, Hirschberg, Gefell, Leutenberg, Lobenstein, Neustadt, Pößneck, Ranis, Schleiz, Tanna, Triptis, Ziegenrück, Wurzbach und andere Gemeinden an die Bahn angeschlossen zu werden. Lokalen Eisenbahnkomitees, in denen vor allem das Wirtschaftsbürgertum und lokale Honoratioren vertreten waren, gelang es immer wieder, den Eisenbahnbau auf die politische Agenda zu heben. So gab es um 1870 Pläne einer Zugverbindung von Erfurt über Rudolstadt–Saalfeld–Pößneck–Ziegenrück–Schleiz nach Plauen mit dem Ziegenrücker Bahnhof auf dem Amtsberg nach Keila zu, die man wegen angeblicher Geländeschwierigkeiten allerdings nicht weiter verfolgte. Dafür wurde die Strecke Gera–Eichicht über Weida–Niederpöllnitz–Triptis–Neustadt–Pößneck und Saalfeld realisiert, die im Dezember 1871 ihren Betrieb aufnahm. Ihre bereits aufgemessene Verlängerung nach Ziegenrück kam dabei aber nicht zur Ausführung, worauf die Vermessungspfähle, welche die Trasse dieser ›Saalebahn‹ markierten, wie zum Ansporn, noch jahrelang in der Landschaft herumstanden. Die eigentliche Saalbahn, die Strecke Großheringen–Saalfeld über Camburg–Jena–Kahla–Orlamünde–Rudolstadt wurde 1874 eingeweiht, die Elsterbahn Gera–Greiz–Plauen–Weischlitz trat 1875, die Linie Weimar–Jena–Gera 1876 ins Leben. Daraufhin versuchten vorallem Lobenstein und Wurzbach – letztendlich ohne wirkliche Chance – an den Eisenbahnknotenpunkt Hof angeschlossen zu werden.4 So richtig in Bewegung kam das Projekt einer Oberlandbahn erst gegen Mitte der 1880er-Jahre. Den Anfang machte eine Verbindung von Schleiz nach Schönberg im Vogtland [1887] und damit zu den sächsischen Industriestandorten sowie nach Böhmen. Man hoffte auf eine baldige Weiterführung der Strecke nach Saalburg und Lobenstein, welche nur teilweise und erst 1930 mit dem Bau einer elektrifizierten Kleinbahn von Schleiz nach Saalburg mit Abzweig nach der Bleilochstaumauer verwirklicht wurde. Im Jahre 1889 trat die zwischen Orlamünde und Pößneck/Jüdewein verkehrende Orlabahn [mit späterer Weiterführung nach Oppurg] ihren Dienst an. 1892 kam es zur Eröffnung der Strecke Schönberg–Unterkoskau–Tanna–Göttengrün–Hirschberg, wobei die Einwohner der Stadt Gefell in Göttengrün zusteigen konnten. »Gleichzeitig mit dieser war eine Schmalspurbahn von Göttengrün über Blankenstein nach Lobenstein genehmigt worden, die aber dann nicht zu Ausführung kam. Denn kaum war die Vermessung begonnen, bot die preußische Regierung an, nach dem Plan des Geraer Stadtrats Schneider, eine Bahn Triptis–Ziegenrück–Lobenstein mit Verlängerung nach Marxgrün [68,76 km] zum Anschluß an das bayerische Eisenbahnnetz zu bauen. (Gerade in Ziegenrück war die Forderung nach einem Eisenbahnanschluß immer lauter geworden.) Zwischen Preußen, Reuß ältere Linie, Reuß jüngere Linie, Sachsen-Weimar-Eisenach und Schwarzburg-Rudolstadt wurde ein Staatsvertrag abgeschlossen, so daß vom KPEV am 11. Mai 1888 die Genehmigung zum Bau und Betrieb dieser Linie erteilt werden konnte.«5 1889 begannen die ersten Vermessungen, im Jahr darauf wurde in Lobenstein ein großes Eisenbahnbüro eingerichtet.

Nach dem ersten Spatenstich 1890 verzögerten sich die Bauarbeiten bald derart, daß gemutmaßt wurde, der KPEV wolle sich aus dem Projekt wieder zurückziehen. Der Streckenverlauf war nämlich mit tiefen Eingriffen in die Landschaft verbunden. Die Täler, durch die sich die neue Bahn winden sollte, waren meist schwer zugänglich. Die Ingenieure hatten wegen des Baus einer Anzahl weit gespannter Brücken sowie durch Terrassierungsarbeiten und mehrfache Durchtunnelung felsiger Barrieren zahlreiche Probleme zu lösen. Allein in der Gemarkierung Ziegenrück »mussten z.B. im Drebatal der Eisenbahndamm errichtet und der Tunnel durch den Kirchberg mit einer Länge von 105 m herausgesprengt werden. Im Oktober 1893 gab es an diesem Tunnel einen Erdrutsch und durch die Sprengarbeiten wurde auch der Schafborn mit verschüttet. Im Drebatal waren dazu auch bergseitig einige hohe Stützmauern zu errichten. Es wurden alte Wegeführungen verändert, Bachbegradigungen vorgenommen und vieles andere mehr.«6 Ein großes Problem bestand darin, trotz Tageslöhnen von 3-4 M. genügend Arbeiter zu gewinnen. Mehr als 200 Männer dürften an dem Bau beteiligt gewesen sein. Allein 80 von ihnen waren als Steinhauer und Maurer an den großen Viadukten eingesetzt. Viele kamen als Gastarbeiter aus Südeuropa – meist aus Italien und Kroatien – und benahmen sich, wie zahlreiche Nachrichten in der Lokalpresse demonstrieren, oft sehr raubeinig. Eine Hand voll fand hier eine neue Heimat und ist nach dem Abschluß der Bauarbeiten in der Region seßhaft geworden. Am 15. Dezember 1894 konnte der erste Streckenabschnitt Triptis–Ziegenrück [30,43 km] eröffnet werden. Weit schwieriger jedoch gestaltete sich der Weiterbau nach Lobenstein [23,94 km] und hier besonders zwischen Ziegenrück und Lückenmühle sowie von Unterlemnitz nach Lobenstein, wo insgesamt vier Tunnel und drei große Brücken notwendig waren. Hatte die Trasse zwischen Triptis [371 m NN] und Dreba [469 m] lediglich 100 Höhenmeter zu überwinden gehabt, so waren dies zwischen Ziegenrück, dem mit 324 m tiefsten Punkt, und Remptendorf, dem mit 537 m höchsten Punkt der Strecke, 213 Höhenmeter. Das entspricht einer Steigung von durchschnittlich 64 Höhenmeter je 1.000 Längenmetern. Ähnlich war das Gefälle im oberen Lemnitztal. So dauerte es noch einmal bis zum 15. September 1895, bis die erste Dampflokomotive von Ziegenrück auf dem Lobensteiner Bahnhof einfahren konnte. Nach der Eröffnung der Strecke kamen zunächst drei Zugpaare zum Einsatz, ab 1896 ein viertes. Diese Zahl blieb in der Folge nahezu konstant. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts befuhren noch preußische T12-Dampflokomotiven [BR 74] die Linie. Diese waren für Kurzstrecken konzipiert und ihre Wasservorräte dementsprechend knapp bemessen. Später lösten Lokomotiven der Baureihen 58 [preuß.: G 12] und 65 diese ab, welche über viele Jahre hinweg zuverlässige ›Zugpferde‹ waren. In den 1980er-Jahre verkehrten fast ausschließlich Dieselloks der Baureihe 110 auf der Strecke. Die Reisezeit für die 54,37 km lange Fahrt von Triptis nach Lobenstein betrug anfänglich im Schnitt 3:13 h, 1960 dann 2:12 h (das waren rund 25 km/h Reisegeschwindigkeit) und 1980 noch immer 1:42 Stunden (bei 31,5 km/h).7

Der Bau des letzten Streckenabschnitts Lobenstein–Marxgrün [14,39 km] erfolgte von 1896 bis 1901. Dessen Trasse verläuft zunächst das linke Ufer der Lemnitz entlang, überbrückt den Haken- und den Sieglitzgrund [letzteren mit einem großen 3-bogigen Viadukt]. Gegenüber dem Lemnitzhammer wechselt sie an das linke Ufer der Saale. Vor Harra mußten für den Bau des 221 m langen Totenfelstunnels 130.100 m³ Gestein abgetragen und 6.400 m³ Mauerwerk eingezogen werden. Hinter Harra führen die Schienen den das Tal begrenzenden Hang entlang bis nach Blankenstein, wo am 15. Juli 1897 der erste Zug einfahren konnte. Danach erbaute man den 1,17 km langen Streckenabschnitt nach dem Bahnhof Lichtenberg mit einer Steinbrücke über die Thüringische Moschwitz. Dem folgte das mittels 2 Tunneln und 2 Brücken über das Höllental verlaufende Teilstück nach dem Haltepunkt Hölle [8,06 km] und endlich als Abschluß die über das obere Selbitztal führende Anbindung an die Bahnlinie Hof–Naila–Bad Steben [1887] in Marxgrün [2,2 km]. Mit der Fertigstellung der Bahnlinie war gleichzeitig eine der wichtigsten Verbindungen zwischen dem Preußischen und dem Bayerischen Schienennetz geschaffen, auf die bei Bedarf auch Interregio-Züge umgeleitet werden konnten.

Zu guter Letzt gelangten auch Leutenberg und Wurzbach noch zu ihren Bahnhöfen. Nachdem Saalfeld 1885 mit einer Verbindung nach Lichtenfels Stationspunkt der Linie Berlin–München geworden war und sich infolge der Verstaatlichung der Saalbahn [1895] und des Ausbaus der Linie Arnstadt–Stadtilm nach Bad Blankenburg [1900] zu einem wichtigen Verkehrsknotenpunkt entwickelt hatte, trachtete man danach, das fehlende Glied zwischen Saalfeld und Hof herzustellen. Dazu wurde ab 1905 eine Bahntrasse zwischen Hockeroda und Wurzbach [19,43 km] angelegt, wo an letzterem Ort eine Spitzkehre für die notwendige Längenentwicklung zur Bewältigung der flachsten Wasserscheide zwischen Sormitz- und Lemnitzgrund zu sorgen hatte. Dem folgte bis 1908 ein Weiterführung [8,84 km] zur Oberlandbahn nach dem Bahnhof Unterlemnitz. Daraufhin nahm Lobenstein einen Aufschwung zum Güterumschlagplatz.8

Trotz dieser doch ganz beträchtlichen infrastruktuellen Leistungen entsprach die Linienführung der Oberlandbahn später nicht den Wünschen aller Bewohner der Region. »Nicht zuletzt wohl weil die Bahn nicht die Orte verband, die eine schnelle und sichere Verbindung am meisten wünschten. So läßt sich von 1910 berichten, daß sich in Schleiz, Ziegenrück und Pößneck Eisenbahnkomitees befanden, die sich am grünen Tisch recht lebhaft mit einer Bahn Pößneck–Ziegenrück–Schleiz befaßten.«9 Alle möglichen Streckenführungen zwischen Pößneck und Schönberg [i.V.] waren dabei im Gespräch, doch zu hohe Baukosten verhinderten dies. Ein letztes Mal kam dieser Plan im Jahre 1933 zur Diskussion, als erstmals nach 1920 wieder eine Zerschlagung des Kreises Ziegenrück und dessen Anbindung an den Kreis Schleiz ins Auge gefaßt war. Zum Bau dieser Strecke wie auch zur Erweiterung der Schleizer Kleinbahn von Saalburg nach Lobenstein kam es am Ende nicht mehr. »Mit der Fähigkeit zum Ausbau des Straßennetzes und den riesigen Brücken über die Saale war die Basis geschaffen, das Land dichter für den Autoverkehr zu erschließen. Der Kraftverkehr stieg in den 30er-Jahren stark an. Der Autobahnbau begann, um auch die Straße für den Fernverkehr zu erschließen. Damit begann die direkte Konkurrenz zur Bahn, die nicht weiter expandierte, sondern sich bald aus der Fläche zurückzog.«10

Die Bedeutung der Oberlandbahn für den Fremdenverkehr sowie für den Transport von Holz, Steinkohle und landwirtschaftlichen Produkten war beträchtlich. Sie ermöglichte nicht nur Ziegenrück, sondern auch Lobenstein und Wurzbach einen wirtschaftlichen Aufschwung.

Zu Zeiten sorgten zudem Schwerlastzüge mit Vorspann und Personenzüge als Durchgangsverbindungszüge von Leipzig und Halle für die Attraktivität und eine gute Auslastung der Strecke. Demgegenüber erlebte die Oberlandbahn die DDR-Zeit lediglich als Stichbahn. Sie war mehr oder weniger dem Personenverkehr vorbehalten. Nur partiell wurden Güterzüge [gezogen von Loks der Baureihen 118 und 119] vom Bahnwerk Saalfeld auf diese Strecke umgeleitet. Der Hauptverkehr im Oberland lief auf der Strecke Lobenstein–Hockeroda, wobei der Personenverkehr in die andere Richtung stark eingeschränkt und streng reglementiert war, zumal die Haltepunkte Harra-Nord [ehedem Lemnitzhammer], Harra und Blankenstein im Sperrgebiet lagen. Denn keine 1.000 Meter hinter Blankenstein an der innerdeutschen Grenze endete damals die Welt. Ebenso war es auf bundesdeutscher Seite, wo der durchs Höllental verlaufende Streckenabschnitt ab dem Haltepunkt Hölle 1971 stillgelegt, die Gleise abgebaut und die beiden Tunnel vermauert wurden. Ähnliche Bestrebung gab es auf der DDR-Seite, wo 1970 zur Disposition stand, bis zum Jahr 1975 1.200 km Nebenstrecken, darunter auch die Oberlandbahn, stillzulegen. Militärstrategische Gesichtspunkte retteten die Strecke. Und dennoch: Nach der Wende 1989/90 war der Oberlandbahn keine große Zukunft mehr beschieden. Kurz nachdem noch umfangreiche Sanierungsarbeiten am Streckennetz und an den Brücken erfolgt waren, hat man nach über 100 Jahren regelmäßigen Bahnverkehrs am 24. Mai 1998 den Personentransport und gegen Ende des Jahres auch den Güterbetrieb zwischen Triptis und Ebersdorf–Friesau einstellen müssen und die Strecke bis Remptendorf bis Ende 2005 stillgelegt. Ein neuer Pächter, die Deutsche Regionaleisenbahn [DRE], verhinderte den Abbau der Gleisanlagen. Der Streckenabschnitt Unterlemnitz–Remptendorf [bis km 42,80] dient weiterhin dem Holztransport von und nach Ebersdorf–Friesau, wo ein Anschlußgleis zu einem großen Sägewerks besteht sowie anfallenden Trafo-Transporten ins Remptendorfer Umspannwerk.11

»Um der Oberlandbahn das Schicksal vieler anderer Nebenbahnen zu ersparen und dem Vergessen entgegenzuwirken, gründeten Bahninteressierte im Herbst 2007 den Verein Thüringer Oberlandbahn e.V. Bereits 2008 konnte Besuchern von Nah und Fern Draisinenfahrten vom Bahnhof Lückenmühle nach Ziegenrück und etwas später auch vom Haltepunkt Dreba über Knau nach Ziegenrück angeboten werden. Der Verein setzt sich außerdem für den Erhalt der Eisenbahnstrecke Triptis–Unterlemnitz als durchgehende Schienenverbindung ein. Gleichzeitig soll die landschaftlich äußerst reizvolle Bahnlinie in ihrer Gesamtheit als einzigartiges technisches Denkmal bewahrt bleiben und für den Tourismus erschlossen werden.«12 Ein wichtiger Erfolg auf diesem Weg war im März 2008 ein Urteil des Bundesverwaltungsgerichts in Leipzig, wonach die Eisenbahnüberführung bei Moßbach bei der Verbreiterung der Bundesautobahn A 9 [Berlin–München] nicht abgerissen werden dürfe. Inzwischen ist sie zwar mit verschwunden, doch müsse sie – so die Auflage an die Autobahnbauer – wiedererrichtet werden. Sehnsüchtig wartet die Strecke Triptis–Lobenstein auf ihre Wiederinbetriebnahme.

Auch auf der anderen Seite der Landesgrenze gibt es Bestrebungen, die durch das Höllental führende Verbindung von Marxgrün nach Blankenstein wiederherzustellen. Eine Auslastung der Strecke würde nichtzuletzt die nahe Zellstoff- und Papierfabrik in Blankenstein gewährleisten. Allerdings sind Teile des Höllentals 1997 zum Naturschutzgebiet erklärt worden, was eine Wiederbelebung der Strecke nicht nur infolge hoher behördlicher Hindernisse überaus erschwert.

In der allgemeinen Rezeption gilt die Bahnlinie Ziegenrück–Blankenstein–Höllental wegen ihrer beeindruckenden technischen Bauten, den zahlreichen Tunneln und dem reizvollen Verlauf teils parallel zum Dreba- und Otterbach sowie zur Saale, Lemnitz und Selbitz als eine der interessantesten Strecken Mitteldeutschlands, die ungerechtfertigter Weise im Schatten der bekannten Steilstrecken des Thüringer Waldes steht, denn mit einer Steigung von vielfach 1:50 ist sie durchaus eine der klassischen Gebirgsbahnen im Mittelgebirge gewesen.13


1 Vgl. Elfriede Rehbein: Zu Wasser und zu Lande – Die Geschichte des Verkehrswesens von den Anfängen bis zum Ende des 19. Jahrhunderts, Leipzig 1984, S. 194ff.
2 Vgl. Herbert Althans: Entwicklung des Eisenbahnverkehrs im Gebiet von Saale und Orla, in: Heimatjahrbuch des Saale-Orla-Kreises 2005, S. 104
3 Vgl. Hans Jürgen Barteld: Die ›versteckte‹ Gebirgsbahn – Eine Fahrt auf der Strecke Triptis-Lobenstein, in: Eisen-bahn-Jahrbuch 83 – Ein internationaler Überblick, Berlin 1983, S. 145; Juergen K. Klimpke: ›Wir brauchen keine Eisenbahn. Wir fahren in der Kutsche.‹ – Verhinderten die Reußen die Führung der Bahnlinie Nürnberg-Leipzig über ihre Fürstentümer?, in: Heimatjahrbuch des Saale-Orla-Kreises 2012, S. 51ff.
4 Vgl. Horst Wagner: Bahnbaupläne im oberen Saaletal – und was wurde Wirklichkeit, in: Der Oberlandbote, Nov. 1956, S. 395ff.; Horst Zippel: Oberlandexpress – Zum Jubiläum 100 Jahre Eisenbahnstrecke Ziegenrück–Lobenstein, Unterlemnitz 1995; Derselbe: Die verkehrstechnische Entwicklung und deren Auswirkungen auf das öffentliche Leben während der Zeit zwischen 1880 und 1910 im Gebiet der oberen Saale, in: Volkskundliche Beratungs- und Dokumen-tationsstelle für Thüringen (Hg.): Vom Leben im Oberland – Alltag in der Region Thüringer Schiefergebirge/Obere Saale (Beiträge des Kolloqiums Alltagsleben in der Region Thüringer Schiefergebirge/Obere Saale – Wandlungs-prozesse auf dem Wege zur Industrialisierung im 19./20. Jahrhundert in Leutenberg, Erfurt 2013, S. 75; Robert Mailbeck: Die verspätete Industrie – Wirtschaft und kommunale Entwicklung in Neustadt an der Orla im 19. Jahrhundert, in: Beiträge zur Geschichte und Stadtkultur, Band 14, Weimar u.a. 2006, S. 58.
5 Barteld 1983, S. 145f.
6 Harald Rudolph: Die Geschichte der Stadt Ziegenrück – Eine Zusammenfassung über die Entstehung und Entwicklung einer kleinen Stadt, Ziegenrück 2003, S. 103
7 Vgl. Barteld 1983, S. 149, 153
8 Vgl. Rudolph 2003, S. 103; Achim Weidhaas: Mit der Eisenbahn im Jahre 1908 von Triptis nach Marxgrün, in: Gemeinde Remptendorf (Hg.): Remptendorf 1325–2000: Festschrift anlässlich der 675 Jahrfeier (Autorenkollektiv unter der Redaktion von Hagen Enke), Lobenstein 2000, S. 73; Zippel 2013, S. 80, 82f.; Karl Rühl: Das obere Saaletal, 2. vermehrte Auflage, Ziegenrück 1903, S. 42f.; Rat der Stadt: Festschrift der Stadt Lobenstein zur 700 Jahrfeier, Lobenstein 1950, S. 41
9 Wagner 1956/11, S. 396
10 Althans 2006, S. 108f.
11 Vgl. Website des Thüringer Oberlandbahn e.V. (abger. 01.03.2020); Barteld 1983, S. 149; Rudolph 2003, S. 106; Weidhaas 2000, S. 73; Stephan Umbach, Peter Künzel: Die Oberlandbahn, Informationstafel im Drebagrund, o. J.
12 Vgl. Uwe John u.a.: Kulturelle Entdeckungen Thüringen, Band 4: Landkreis Altenburger Land, Stadt Gera, Landkreis Greiz, Stadt Jena, Saale-Holzland-Kreis, Saale-Orla-Kreis, Landkreis Saalfeld-Rudolstadt, Regensburg 2012, S. 347f. Siehe auch thueringer-oberlandbahn.de (Stand 15.08.2017)
13 Vgl. Rühl 1903, S. 40; Barteld 1983, S. 144; John 2012, S. 347; Umbach u. Künzel o. J.; Webseite des Thüringer Oberlandbahn e.V. (abger. 01.03.2020);


Alexander Blöthner: Sagenhafte Wanderungen in Ziegenrück und Umgebung: Sehenswürdigkeiten, Denkmäler, Altertümer, Alteuropäische Flurnamen, Archäologische Fundstätten, Heidnische Kultverdachtsplätze – Ein Landeskundliches Lesebuch für Schule und Haus, Norderstedt 2020, S. 69-74

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