Das Klima im Thüringer Oberland: Teil 9 – Die Zähmung der Saale

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Über den Autor
Alexander Blöthner M. A. (phil.), gebürtig in Plothen bei Schleiz, hat an der Universität Jena ein ›Studium Generale‹ mit Schwerpunkt auf Geschichte und Soziologie absolviert und verfasst Bücher über Lebensphilosophie, Sagen, Orts- und Regionalgeschichte, Landschaftsmythologie als auch Alltags-, Sozial- und Wirtschaftsgeschichte. Autorenwebseite: Sagenhafte Wanderungen

»Die Nutzung des Saaletals für Wirtschaft, Siedlung und Verkehr wurde bis in die jüngste Vergangenheit infolge der ständigen Gefährdung durch Hochwasser beeinträchtigt. Regelmäßig zur Schneeschmelze in den südlich benachbarten Gebirgen, aber auch zu allen Jahreszeiten, bestand in den Niederungen an der Saale Gefahr von Überschwemmungen, die oft verheerende Auswirkungen hatten.«1 Einen Eindruck über die von der Saale und ihren Nebenbächen ausgehende Gefährdung gewinnt man etwa in der Cordobanger Chronik, wo für den Flußabschnitt unterhalb von Rudolstadt allein zwischen 1820 und 1850 nicht weniger als 11 Hochwasser – 3 davon schwer – erwähnt sind:

»17. Januar 1820: Das Wasser steht bis zum ›Stutenrand‹, in Kirchhasel bis zur Chaussee.
28. Juni 1829: Der Mörlagraben bringt infolge eines Wolkenbruches gewaltige Wassermassen.
30. Juni 1830: Der Wüstebach reißt mehrere Häuser weg, vom Baumgarten bis zur Untermühle steht das Wasser bis zum zweiten Stock.
04. Mai 1837: Die Saale überschwemmt Felder und Wiesen.
04. bis 06. August 1837: Der Wüstebach reißt wieder eine Mühle weg und richtet große Verwüstungen an.
19. Mai 1839: Dammbruch der Saale mit großer Überschwemmung.
02. April 1842: Die Saale tritt über.
31. Mai 1842: Der Mörlabach überflutet die Felder infolge eines Wolkenbruches.
25. bis 26. Februar 1843: Saale und Mörlabach treten über ihre Ufer. 20. Mai 1845: Saale und Wüstebach überschwemmen infolge von Regengüssen die Saalgärten und Unterhasel
03. bis 04. Februar 1850: Infolge der Eisstauung große Überschwemmung von Unterhasel. Die Kirche stürzt ein, ein Haus wird weggerissen, fast alle Häuser werden beschädigt. Das Wasser steht 2 Ellen hoch. Auch oberhalb von Unterhasel ist alles überschwemmt.«2

Wegen der dauerhaften Bedrohung durch die regelmäßigen Saalehochwasser wurde Unterhasel in der Folge bis auf drei Höfe aufgegeben und die Bewohner verzogen ab 1862 unter Weiternutzung ihrer Liegenschaften an höhere Orte. Bereits im 16. Jahrhundert war ein benachbartes Niederungsdorf – Redwitz – aus demselben Grund eingegangen.3

1890 wird über eine weitere ›Thüringer Sintflut‹ berichtet, nachdem tagelanger Regen die Schneedecke abgetragen hatte und am 24. November ein schweres Hochwasser einen geschätzten Schaden von fünf Millionen Mark angerichtet hatte. In Ziegenrück wurde damals die ganz außergewöhnliche Wassermenge von 600 m³ je Sekunde gemessen.

»Kaum hatten die Bewohner des oberen Saaletals diese Schäden überwunden, verursachte 1901 ein verheerender Eisgang erneut Schäden, die in die Millionen gingen.«4 Nach wochenlangem strengen Frost war die Saale bis an ihren Oberlauf hinauf mindestens 45 cm dick zugefroren. An einigen Stellen, wie bei den Wehren, berührte der Eispanzer sogar den Grund. Da zog nach starken Schneefällen im Frankenwald plötzlich warmer Südwind auf, dem Tauwetter folgte. Innerhalb weniger Tage schmolz der Schnee dahin. Zahllose Rinnsäle ließen die Bäche anschwellen und ungeheure Wassermassen stürzten der Saale zu. Bis zu den Ufern war der Fluß ohnehin schon voll. Nun stieg der Pegel – unterstützt durch starken Regen – noch weiter an. So entstand unter der Eisdecke ein gewaltiger Druck. Mit Klirren, ja mit Krachen, begann das Eis zu bersten, erst an einer Stelle, dann den ganzen Fluß entlang, wie eben der Druck des zunehmenden Wassers unterm Eis sich ausbreitete. Eisschollen von den seltsamsten Formen, manche nur quadratmetergroß, andere weit größer, machten sich auf die Reise. Wegen der Lage von Ziegenrück vor einer Saaleschleife stieg der Flußpegel hier innerhalb von Minuten um 5 Meter an und durchbrach erst am Fernmühlenwehr, dann wegen der starken Kurve am Nähernmühlenwehr, mehr aber noch am Hüttenwehr jede Schranke. Am Mühlgraben und an der Schleuse zum Elektrizitätswehr der Fernmühle richtete das Eis erhebliche Schäden an. Starke Eisenträger verbogen sich wie Strohhalme. In den Ställen der Nähernmühle stand das Großvieh bis zum Hals im Wasser, auch die Müllerswohnung war überflutet, ebenso das Hotel Eckstein [heute: Am Schloßberg], in das man nur noch durch ein Fenster gelangen konnte.5 »Die durch den Eisgang aufgebrochenen Eismassen türmten sich an der Saalestraße und an der Paskaer Staße bis zu einer Höhe von fast 3 Metern und blieben noch lange liegen. Sie zogen viele Schaulustige an.«6 Auch der Eßbacher Heimatdichter Gustav Schröer hat dieses Ereignis in einem seiner Bücher atmosphärisch verdichtet beschrieben.

In Preßwitz, Kaulsdorf und anderen Saaledörfern hatte das Knistern des reißenden Eises und ein heraufdräuendes Wintergewitter die Saaler – so hießen die Bewohner der Talsiedlungen – schon vorher nach draußen gerufen. »Es war die unheimliche Nacht des Wilden Jägers gewesen mit brodelnden Luftwirbeln, den Peitschenhieben der Blitze, mit grellem Licht und tiefem Dunkel. Das Eis hatte sich in Bewegung gesetzt, ganze Wälle hoben sich wuchsen, schoben sich. Der ganze Fluß war mit Eisdämpfen besetzt, das Getier des Wassers aber flüchtete herauf auf die überschwemmten Wiesen und Kiesbänke, wo ruhiges Wasser sie vor dem Zerstoßen bewahrte. Als dann das Wasser zurücktrat, blieb vielen Fischen der Rückweg versperrt und auf dem nassen Lande lagen Hechte, Barben, Schmerlen, Elleritze, Kaulpelze, Kressen und Aale. 12-Pfünder waren unter den Hechten,«7 10-15-Pfünder unter den Lachsen. Faktisch die gesamte Bevölkerung eilte mit Eimern, Gießkannen, Säcken und allen möglichen Behältnissen zum Fluß, fischte die stehengebliebenen Wasserlachen ab und las auf, was auf dem Trockenen lag, wobei manchmal in nur einer Viertelstunde ein ganzer Eimer voller Fische eingesammelt werden konnte.8 Am Ufer wimmelte es »von angezündeten Laternen, die auf und ab, langsamer und schneller, bald hier verschwanden, bald dort aufblitzten. Der Beobachter von ferne erlebte ein seltsames und zugleich schönes Bild.«9 Nicht allein auf die Fische hatte man es abgesehen, auch auf Holz und anderes brauchbares Treibgut, welches die Flut auf ihrem langen Wege mitsichgerissen hatte und das nun mit langen Stangen mit eisernen Aufhaschhaken an Land gezogen wurde. »Was da überhaupt alles mit dem Eis angeschwommen kam, läßt sich kaum beschreiben: Baumstämme, Zäune, Teile von Brücken, Hunde mit der Hütte, Schweine und andere Haustiere, Rehe und Hasen, sogar ein ganzes Mühlrad wurde einmal am Zimmersberg bei Kaulsdorf aus der Saale gezogen und zu Brennholz zerkleinert. … Besonders die Bergarbeiter aus Kamsdorf und Goßwitz stellten sich alljährlich in großen Scharen zum Eisgang bei Kaulsdorf ein, um an dem Fischreichtum teilzuhaben.«10 Wer wollte es ihnen wehren? Es war aussichtslos, seitens der Fischereipächter wie auch der Besitzer der Uferflächen dagegen anzugehen. Besonders letztere dehnten das ihnen zustehende passive Fischereirecht auf ihren Grundstücken bei Hochwasser weidlich aus, indem sie aus den Eisblöcken künstliche Barrieren schufen und das Wasser mitsamt den Fischen auf ihre höhergelegenen Wiesen leiteten. Wurden ihnen die Barrieren zu hoch, dann sprengten sie einfach mit Dynamit, das es damals in jeder besseren Drogerie zu kaufen gab und womit gewöhnlich auch die Stümpfe gefällter Bäume aus dem Boden geholt wurden. Während der ganzen Zeit aber mußten diese absonderlichen Fischer vor Ort bleiben, weswegen mancher Wiesenbesitzer sich eine besondere Fischerhütte, wie etwa an der Budebachmündung bei Liebengrün oder unterhalb Zoppotens bei den Wörth-Inseln errichtet hatte mit einer Feuerstelle, wo Kaffee gekocht und sich bei kalter Witterung aufgehalten werden konnte.11

»Mit der Schaffung zunehmend besserer Uferbefestigungen und Dämme, mit dem Bau der Eisenbahndämme und vor allem nach Fertigstellung der Bleilochtalsperre 1926-1932 und der Hohenwartetalsperre 1936-1942 wurde die Überschwemmungsgefahr«12 an der Saale weitestgehend gebannt. Dennoch mußten etwa in den 1970er-Jahren auch bei starken Wassern Brücken gesichert werden. Die Gefahr von Eisgängen besteht auf der Saale inzwischen nicht mehr, da die Talsperren eine Erhöhung der winterlichen Wassertemperaturen bewirken, im Gegenzug aber das Flußwasser auch im Sommer kühl halten. Das ermöglicht eine gleichmäßigere Wasserführung und eine Erhöhung des Niedrigwasserabflusses.13 »Auf der Loquitz und Sormitz kann man jetzt noch in manchen Jahren kleinere Eisgänge beobachten. Die an den Ufern stehenden Erlen sind danach oft bis in eine Höhe von etwa einem Meter über und über mit frischen Schrammen bedeckt, die das abfließende Eis geschlagen hat, und auf den Uferwiesen liegen manchmal quadratmetergroße, dicke Eischollen.«14

Parallel zu dieser Entwicklung wurde auch die größeren Nebenläufe der Saale Abschnitt um Abschnitt reguliert. Nachdem schon im Jahre 1924 ein großes Hochwasser die mittlere Orlaaue heimgesucht und die Senke in weiten Teilen in einen riesigen See verwandelt hatte, richtete 1932 eine weitere Überschwemmung erneut große Schäden an, worauf das Flüßchen 1934 endgültig reguliert wurde. Beim Unterlauf der Orla war dies bereits mit dem Bau der Orlabahn 1889 zwischen Orlamünde und Pößneck geschehen. Die dortige Mönchspfütze [bei Freienorla] erhielt der Sage nach ihren Namen von einem dort in seiner Kutsche ertrunkenen Geistlichen, nachdem die über ihre Ufer getretene Orla die Landstraße wieder einmal unpassierbar gemacht hatte. Als zu Beginn des Jahres 1846 wieder einmal Hochwasser herrschte, ist dort in der Nähe ein Einwohner aus Freienorla mitsamt seinen Tieren ertrunken, was dermaßen Aufsehen erregte, daß der Altenburgische Staat den Bau einer befestigten Landstraße veranlaßte.15

1 Luise Grundmann (Hg.): Rudolstadt und das mittlere Saaletal – Ergebnisse der landeskundlichen besatndsaufname im Raum Remda, Rudolstadt, Orlamünde, Weimar 1998, S. 191

2 Chronik von Cordobang bei S. Passarge: Morphologie des Meßtischblattes Stadtremda, Hamburg 1914

3 Vgl. Grundmann 1998, S. 191, 195; Harald Mittelsdorf: Zur Geschichte der Saalehochwasser, (31.03.1991); Rudolph 2003, S. 54

4 Volker Retz: Das obere Saaletal in Vergangenheit und Gegenwart, Reihe Ziegenrücker Hefte 1, Schleiz 1981, S. 24

5 Vgl. Rudolph 2003, S. 54; Horst Wagner: Aus der Geschichte der Stadt Ziegenrück, in: Der Oberlandbote – Heimatzeitschrift der Kreise Schleiz und Lobenstein 1957, Nr. 3, S. 97; Albert Böhm 1909, zitiert bei Hanns Rothen: Mit dem Floß auf der Saale – Rückbesinnung auf ein ausgestorbenes Gewerbe, Gotha 1995, S. 31

6 Rudolph 2003, S. 54

7 Friedrich Lundgreen: Im Stausee von Hohenwarte verschwunden – Die Geschichte von Preßwitz und Saalthal, Pößneck 1938, S. 49

8 Vgl. ebenda; Werner Dietzel: Damals an Saale und Loquitz – Ein Heimatbuch der Einheitsgemeinde Kaulsdorf/Saale, Teil 1, Saalfeld 1994, S. 132

9 Lundgreen 1938, S. 49

10 Dietzel 1994 S. 132

11 Vgl. ebenda, S. 137; Gemeinde Liebengrün 2002, S. 94; Blöthner 2008, S. 171; P. Dietzel: Kleene Fisch Ein schwindender Brauch, in: Oberlandhefte 1932, Nr. 2, S. 24-27

12 Grundmann 1998, S. 191

13 Vgl. ebenda; Rudolph 2003, S. 55; Ludwig Bauer: Vergleichende Hydrogeologie von Thüringen – ein wasserhistorischer Rückblick, 2013, S. 150ff.

14 Dietzel 1994, S. 132

15 Vgl. Michael Köhler: Der Hexentaler – Sagen und ausgewählte Begebenheiten aus dem Saale-Holzland-Kreis, Jena 1996, S. 199; Oskar Siegel u.a.: Aus dem Dorfbuche von Langenorla, in: Heimatgeschichten aus dem Orlatal 2001, Nr. 1, S. 18f.

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