Das Klima im Thüringer Oberland: Teil 3 – Die Kleine Eiszeit

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Über den Autor
Alexander Blöthner M. A. (phil.), gebürtig in Plothen bei Schleiz, hat an der Universität Jena ein ›Studium Generale‹ mit Schwerpunkt auf Geschichte und Soziologie absolviert und verfasst Bücher über Lebensphilosophie, Sagen, Orts- und Regionalgeschichte, Landschaftsmythologie als auch Alltags-, Sozial- und Wirtschaftsgeschichte. Autorenwebseite: Sagenhafte Wanderungen

»Zwischen dem 15. und 19. Jahrhundert gab es wiederholt Phasen mit sehr kalten, langen Wintern und regnerischen, kühlen Sommern. Gründe waren eine zeitweilig geringere Aktivität der Sonne und mehrere Vulkanausbrüche.«1 Durch die ›Kleine Eiszeit‹, wie einige Forschern diese Periode etwas vorschnell benannten, wurde das mittelalterliche Klima-Optimum – in dessen Verlauf die Wikinger Island und Grönland besiedelt hatten und an einigen Hängen des Oberlandes [so bei Oberböhmsdorf, Burgk und Gräfenwarth] sogar Wein gereift sein soll – beendet und eine bis um 1850 währende Abkühlungsphase um bis zu 2 Kelvin eingeleitet. Bis dahin war der in unseren Volksliedern so enthusiastisch besungene Mai wirklich ein Wonnemonat gewesen. »Er war wärmer und angenehmer, als wir ihn heutzutage kennen.«2

Mit Beginn der Kleinen Eiszeit wurden die Winter länger und kälter, das Wetter im Sommer regnerischer und unbeständiger. Die landwirtschaftlichen Erträge oszillierten, heiße Sommer mit winzigen Getreidekörnern folgten Phasen langanhaltender Feuchtigkeit mit notgereiftem Getreide. Felder verunkrauteten, Pflanzenkrankheiten und Schädlingsbefall folgten in immer kürzeren Abständen. Totalverluste durch Hagelschlag und Frostschäden häuften sich.3 Die Landwirtschaft fiel es immer schwerer, eine stetig wachsende Bevölkerung standesgemäß zu versorgen. Bitten um Steuer- und Abgabenverminderungen häuften sich. Die Landgemeinden kamen mit den Rittergütern, die junker-, ackerbürger- und bäuerlichen Nachbarn untereinander in Konflikt. In den damals vermehrt geführten Gerichtsprozessen um Frondienste, Wasser- und Weidenutzungsrechte, spiegelte sich die Angst um eine zunehmend schwindende Erwerbsgrundlage wieder. Willkür und Gewalt gegen Untertanen, wie sie sich etwa die damaligen Landesherren von Lobenstein – die Burggrafen aus dem älteren Vögtischen Hause zu Plauen leisteten – erreichten in diesen Jahren ihren Höhepunkt. In der Fahndung nach jenen, die Unwetter und Hagelschlag herbeigewünscht oder die Milchleistung der Kühe verhext hatten, suchten Wut und Verzweiflung nach Entladung. Sündenböcke wurden in gesellschaftlichen Minderheiten und Randgruppen gesucht und gefunden. Der ansich schon weit verbreitete Teufels-, Hexen- und Gespensterglauben erfuhr durch den Genuß von, mit Mutterkorn [eines, in verregneten Jahren auf den Getreideähren wachsenden, halluzinoid wirkenden Pilzes] verseuchten Getreide so starken Auftrieb, daß mitunter ganze Dörfer zeitweise außer Kontrolle gerieten.4

Auch während der Kleinen Eiszeit gab es erhebliche Klimaschwankungen, zum Beispiel im Zeitraum von 1570 bis 1610, wo eine ganze Folge von Orkanen, harten Wintern, Mißernten mit Hungersnöten und Epidemien die Menschen derart in Verzweiflung und um ihr Gottvertrauen brachten, daß sie apokalyptische Erwartungen hegten. An 29. Mai 1613 ging im gesamten Gebiet zwischen Harz und Saale die Thüringer Sintflut nieder und tötete allein in der Herrschaft Weimar 192 Menschen und über 2.000 Stück Großvieh sowie schwemmte mehr als 400 Wohnhäuser davon. Vielerorts wurden die Felder vom tragbaren Boden entblößt und selbst die Toten aus ihren Gräbern gespült.5 Auch der Klosterhammer bei Saalburg wurde bei dieser Flut restlos davongetragen. Zuvor, im Jahre 1609, war es in Ziegenrück durch ein schweres Saalehochwasser zu großen Verwüstungen gekommen. Und noch weiter davor spülte eine am Annentage [26. Juli] die Saale sich hinabwälzende Flutwelle die kleine Kapelle bei der Portenschmiede nördlich von Reitzengeschwenda hinweg.

Die zweite Dekade des 17. Jahrhunderts war hingegen von extremer Trockenheit geprägt. So ist der Sommer des Jahres 1616 dermaßen »heiß und fast ohne Regen gewesen, danebenhere das Gras verdorret und die Saal so eingetrucknet, daß die Studenten ober den rechten Saalstrom auf Schrittsteinen nach Wenigen Jena in die Kirche oder sonsten spazieren gangen sein.«6 Die Gründung der Glashütte in Grumbach bei Wurzbach war nichtzuletzt der Verwertung großer Mengen Schadholz geschuldet, das nach einem, durch langanhaltende Niederschlagsarmut erfolgten Schädlingsbefall entstanden war.7

Zwischen 1675 und 1715 wurde Mitteleuropa erneut von einem extremen Kältemaximum heimgesucht, dessen Ursache später u.a. mit einem Minimum an Sonnenflecken in Verbindung gebracht wurde. Sowohl der Hexenwahn als auch die Pest flammten in letzten großen Wellen noch einmal auf. In Frankreich gab es besonders zwischen 1692 und 1698 mehrere Hungerwinter mit langanhaltenden Tiefsttemperaturen die eine Aussaat im Frühjahr fast unmöglich machten und die Ernten weitgehend ruinierten.

Im August 1693 fielen ungeheure Schwärme der Wanderheuschrecke, die aus Asien über Ungarn kamen, ins Vogtland ein und taten besonders in der Gegend von Weida und Plauen großen Schaden, wonach man an letzterem Ort sogar eine Heuschreckenmedaille prägte. »Der von fern heranziehende Schwarm erschien wie eine dunkle Wetterwolke am Himmel. Die Landschaft, über welcher er hinzog, versank in Dämmerung, ja zuweilen in Nacht, je nachdem die Tiere in mehr oder weniger hohen Massen übereinander schwirrten. Die Fluren aber, auf welchen sie sich niederließen, waren verloren. Die ganze weichere Pflanzenwelt verschwand in wenigen Minuten, aber auch die Nadeln der Schwarzwälder.«8 Ebenso im reußischen Oberland »in Dittersdorf, Plothen und anderen Orten sollen sie Schaden angerichtet, in Schleiz und seiner nächsten Umgebung sich aber nur vereinzelt sehen lassen haben.«9

Am 25. Mai 1705 kam es in der Reußischen Unterherrschaft Gera plötzlich zu blizzardartigen Schneefällen. Jene Feldbesitzer, die versuchten, den Schnee mit Leinen von den blühenden Kornähren zu streichen, ernteten nichts. Wer das nicht getan, bekam eine gute Ernte. Auch der Winter von 1708/09 war so hart wie seit Menschengedenken nicht. Ebenso lag im Winter 1740 das reußische Oberland zwischen Dezember und April unter einer dicken Schneedecke.10 Wahrscheinlich mit Nordlichtern in Verbindung steht die folgende Notiz: »Am 16. März 1741 gegen Mitternacht sah man fürchterliche Heere am Himmel, die sich heftig aneinander geschlagen, auch andere greuliche Feuerzeichen stunden am Himmel, worauf auf diesem warmen Tag große Kälte folgte, dann Eisfahrt, viele Raupen und zuletzt die blutige Schlacht bei Kesselsdorf.«11

1 Anja Grothe: Die Kleine Eiszeit, in: Sabine Eickhoff, Franz Schopper (Hg.): 1636 – Ihre letzte Schlacht – Leben im Dreißigjährigen Krieg, Berlin 2012, S. 27

2 Wolf-Dieter Storl: Die alte Göttin und ihre Pflanzen – Wie wir durch Märchen zu unserer Urspiritualität finden, München 2014, S. 36

3 Vgl. Stefan Militzer: Klimatatsachen und Umriß von Klimawirkungen in Sachsen, in: Uwe Schirmer (Hg.): Sachsen im 17. Jahrhundert – Krise, Kriege und Neubeginn, Beucha 1998, S. 72f.

4 Vgl. Christian Pfister: Wetternachhersage. 500 Jahre Klimavariationen und Naturkatastrophen 1496-1995, Bern 1999; Hartwin Rohde: Pilze in Märchen, Medizin und Religion, in: Felix von Bonin (Hg.): Schamanismus und Märchen, Ahlerstedt 2003, S. 165-176

5 Vgl. Rudolf Drechsel: Sagen und alte Geschichten aus dem Orlagau, Wernburg 1934, S. 62; Harald Rudolph: Die Geschichte der Stadt Ziegenrück – Eine Zusammenfassung über die Entstehung und Entwicklung einer kleinen Stadt, Ziegenrück 2003, S. 53; Julius Constantin Kronfeld: Landeskunde des Großherzogtums Sachsen-Weimar-Eisenach, Erster Teil: Die Topographie des Landes, Weimar 1878, S. 333ff.; Bernd Stephan: Katastrophen in Thüringen, Taucha 2008, S. 36-44

6 Vgl. Ludwig Erhardt, Gertrud Fischer: Das Ledermännchen – Sagen und merkwürdige Begebenheiten aus Jena und dem mittleren Saaletal, Jena 1976, S. 159

7 Vgl. Robert Hänsel: Glashütten im Reußischen Oberland, in: Oberlandhefte 1925/1, S. 8

8 Kurt und Gudrun Häßner: So war es einst – Aus ferner Vergangenheit bis in das 20. Jahrhundert – Chronik der Stadt Weida in Thüringen, Teil II, Weida 2008, S. 63; Karl Hempel: Geschichte der Stadt Auma, Auma 1931, S. 13; Theodor Gräße: Der Sagenschatz des Königreichs Sachen, Dresden 1874, S. 340

9 Berthold Schmidt: Geschichte der Stadt Schleiz, Bd. 3, Schleiz 1908, S. 320

10 Vgl. Militzer 1998, S. 90f.; Hermann Meißner: Die Stadt Gera und das Fürstliche Haus Reuss j.L. – Eine Chronologische Zusammenstellung der in der Geschichte derselben vorkommenden wichtigen Ereignisse, Gera 1893, S. 415; Walter Lenke: Untersuchung der ältesten Temperaturmessungen mit Hilfe des strengen Winters 1708-1709, in: Berichte des Deutschen Wetterdienstes. Nr. 92, 1964

11 Eisel 1871, Nr. 653

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