Das Klima im Thüringer Oberland: Teil 1 – Das Wetter im Oberland

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Klimageschichte
Aus aktuellem Anlaß hat sich in unserer neuen Reihe „Das Klima im Thüringer Oberland – Wetter-Anomalien und deren Auswirkungen auf Mensch und Gesellschaft in Ostthüringen“ der Historiker und Heimatforscher Alexander Blöthner der Klimageschichte unserer Region angenommen. Er wird in insgesamt zehn Beiträgen einige interessante Begebenheiten um das Wetter und seine Extreme sowohl im Oberland, als auch in Ostthüringen darstellen. Darin wird auch beleuchtet, wie sich seit dem Ende der letzten Eiszeit das Klima in Mitteleuropa entwickelt hat, aber auch wie sehr sich die Menschen früherer Zeiten speziell mit dem Wetter befassen mußten, zumal ihre Landwirtschaft viel anfälliger und weit leistungsschwächer war als unsere heutige. Unter solchen Umständen konnten Wetterunbilden wie Schnee im Juli, Kirschblüte im Dezember, sintflutartige Regenfälle, zu nasse oder zu trockene Vegetationsperioden Ernteausfälle, bis hin zu Hungersnöten auslösen und Haushalte, Kommunen, ja ganze Staatssysteme an die Grenzen ihrer Belastbarkeit bringen, ja sie bildeten – man denke an die Ereignisketten von 1789 und 1848 – sogar den Nährboden für gesellschaftliche Umstürze. In einem anderen Kapitel ist von der Kleinen Eiszeit die Rede, die während der frühen Neuzeit nicht nur die Jahrestemperaturen absenkte, sondern auch von klimatischen Extremen begleitet war. Auch den mitunter gefährlichen Eisgängen und Hochwassern der Saale vor ihrer Regulierung ist entsprechend Raum gewidmet.

Das Wetter im Oberland


Bedingt durch die Lage im Lee des Hohen Thüringer Schiefergebirges mit über 800 m ü. NN gilt das Klima im Oberland als kühl und feucht und das Wetter als rauh und sehr windig. Die Jahresniederschläge liegen zwischen 600 und 700 Millimetern und erreichen im südlichen Kammbereich des Frankenwaldes mitunter die Tausender-Marke. Die Winter sind gewöhnlich lang und schneereich, der Frühling kehrt um einiges später ein als im Unterland.1 »Im Jahre 1740 waren Schlittenfahrten von Dezember bis April möglich. Fröste werden manchmal noch im Juni beobachtet.«2 Die Heuernte begann – wie wir etwa aus Liebengrün wissen – selten vor Johanni, die Kornernte kaum vor August. »Die Sommertage sind meist ruhig bis in den Herbst hinein. Aussaat und Reife setzten aus diesen Gründen später ein, abgesehen von extremen Witterungsbedingungen, wie einem heißen, sehr langen Sommer im Jahre 1590 und einem heißen Nachsommer 1619, in dem die Rosen sogar im Oktober noch einmal blühten, ist der Himmel meist klar und die Luft leicht. Jedoch sind die Nächte kühl und auch der Morgen. Nach einem schönen warmen Tage schlägt die Luft in empfindliche Kälte um,«3 besonders in den tiefen Taleinschnitten, wo sich infolge der verminderten Sonneneinstrahlung auch sonst relativ große Feuchtigkeit und Kühle bemerkbar macht. Dagegen müssen die Hochflächen den rauhen Winden trotzen und zeigen niedrigere Temperaturen als die Mulden und Buchten des Hochplateaus. Klimatisch etwas begünstigt sind hingegen die südlich bzw. südwestlich exponierten Talhänge.4

Nicht nur die Bauern maßen in früherer Zeit dem Wetter und seiner Vorhersage existenzielle Bedeutung zu, waren sie doch nicht allein in ihrer Arbeit davon abhängig. Das Gelingen oder Verderben der Ernten bestimmte über das Wohl und Weh der Menschen und ihrer Nutztiere, etwa ob den Winter über genügend Vorräte vorhanden waren und wenn nicht, wann das für die Aussaat im Frühjahr zurückbehaltene Korn angegriffen werden mußte etc. So versuchten die Landwirte so gut wie möglich vorauszuplanen und im Einklang mit dem Wetter zu wirtschaften. Den inzwischen vielerseits belächelten Bauern- und Wetteregeln kann man – vornehmlich, wenn es um den Wechsel von längeren Wetterlagen geht – ein tiefgreifendes Wissen um Witterungszusammenhänge nicht absprechen. Selbst Meteorologen bestätigen, daß viele dieser Vorhersagen eine Eintreffwahrscheinlichkeit von wenigstens 65 Prozent besitzen. Das bedeutet, in mindestens 2 von 3 Jahren kommt es zu einer richtig eintreffenden Prognose. Von da ist es nicht mehr weit zu den Vorhersagen heutiger Wetterbeobachter, die auch nicht über einer Trefferquote von 75 Prozent liegen.

So postulierten Wetterkundige: ›Wenns zur Lichtmeß [2. Februar] stürmt und schneit, ist der Frühling nicht mehr weit!‹ Auch glaubten sie, daß Himmelfahrtsregen eine schlechte Heuernte anzeige und zu Jacobi [25. Juli] der Schnee blühe, das also viele oder wenige Wolken an diesem Tage mehr oder weniger Schnee im kommenden Winter bedeuten würden. Es hieß aber auch: ›Weißer Dezember, viel Kälte fein, da wird das Jahr sehr launisch sein!‹, aber auch ›Wie der Dezember pfeift, so tanzt der Juni!‹ Ferner war man davon überzeugt: ›Wie es heuer friert im Advent im nächsten Jahr die Erntesonne brennt!‹5

Tradiert wurde dieses Wissen auch in sogenannten Bauernkalendern und Almanachen mit Wetterregeln und Gesundheitsratschlägen, von denen selbst der ›Gelehrte Bauer von Rothenacker‹, Nikolaus Schmidt [†1671], alljährlich einen herausgab. In moderner Variante – also von tradierten Albernheiten und inzwischen überhandgenommenem Aberglauben befreit – veröffentlichte 1718 auch der Lobensteiner Superintendent Körber [†1728] einen solchen Almanach, den ›Lichtenbrünner immerwährende[n] Bauernkalender‹. Dafür soll er mehrere Monate lang die jeden Morgen an seinem Amtssitz vorbeikommenden Lichtenbrunner Fronbauern nach dem Wetter gefragt und daraus seine Schlüsse gezogen haben.6

Mehr noch als heute fürchtete man in früherer Zeiten schwere Unwetter, welche das kurz vor der Ernte stehende Brotgetreide verhageln oder durch Blitzschlag Mensch und Vieh, ja Haus und Hof vernichten konnten. Um die Wetterwolken zu vertreiben, legten Abergläubische einen ererbten Donnerkeil, ein auf dem Feld gefundenes neolithisches Steinbeil aufs Fensterbrett oder bliesen wie der Gelehrte Bauer von Rothenacker in eine große Muschel, das sogenannte ›Wetterhorn‹. Das spätmittelalterliche Sühnekreuz von Weisbach heißt auch ›Wetterkreuz‹, weil man meinte, daß es die Wetter teile und auf diese Art gegen heranziehende Unwetter schütze, obwohl sich der Name in Wirklichkeit von dem mittelhochdeutschen Synonym ›wetten, wette, wet → Rechtsverbindlichkeit, Gesetz, Pfand‹ ableitet.7

Interessant ist auch der frühere Brauch des Wetterläutens. Noch zu Beginn des 18. Jahrhunderts versicherten namhafte Physiker wie Baco von Verulam oder Cartesius, daß die durch das Läuten der Kirchenglocken hervorgebrachten Schwingungen zur Zerteilung von Wetterwolken beitragen können, worauf dieser seit der Reformation vielerorts verbotene, aber dennoch gepflegte Volksbrauch wieder eingeführt wurde, sogar von aufgeklärten Regenten wie Heinrich XII. von Reuß-Schleiz, der 1761 seinen Gemeinden die Anweisung gab, daß bei nahenden Gewitter mit ›drei abgesetzten Pulsen eine zeitlang geläutet, wenn aber das Gewitter näher kommt, ganzlich damit innegehalten werden soll!‹ In dem Dorfe Zoppoten wurde das Wetterläuten erst im Jahre 1889 abgeschafft, nachdem der Lehrer beim Läuten vom Blitz betäubt worden war. In Lichtenbrunn erhielt eine neue Kirchenglocke noch 1890 die Inschrift: ›Die Lebenden rufe ich, Die Toten beklage ich, Die Blitze breche ich !‹. Auch in Lobenstein, wo 1594 eine dem Küster zustehende ›Wettergabe‹ von beträchtlichen 4 Pfennigen je Wohnhaus erwähnt ist, trägt eine 1863 gegossene Glocke dieselbe Inschrift – nur in lateinischer Sprache.8

1 Vgl. Walter Hiekel u.a.: Die Naturräume Thüringens, in: Naturschutzreport, Heft 21, 2004, S. 3; Günther von Geldern-Crispendorf: Kulturgeographie des Frankenwaldes, Halle 1930, S. 9; Georg Martin Brückner: Landes- und Volkskunde des Fürstenthums Reuß jüngerer Linie, Gera 1870, S. 31

2 Brückner 1870, S. 31f.

3 Ebenda

4 Vgl. ebenda; Hiekel u.a. 2001, S. 3; Gemeinde Liebengrün (Hg.): Festschrift zur 625-Jahrfeier des Marktfleckens Liebengrün 1377-2002, Lobenstein 2002, S. 71

5 Vgl. Bernhard Michels: Der immerwährende, ganzheitliche Natur- und Wetterkalender – Wetter- und Bauernregeln, Einfluss von Mond- und Planeten, Tiere als Wetterpropheten, Los- und Schwendtage, München 1998; Monnica Hackl: Der magische Haushalt – Uralte Zauberkräfte neu entdeckt, München 2004

6 Vgl. Robert Hänsel: Das Lobensteiner Zeitungswesen, Berlin o.J. (8 S.). S. 1; Werner Rauh: Vom ›Gelehrten Bauern‹ zu Rothenacker, in: Heimatgeschichtlicher Kalender des Bezirkes Gera 1981, S. 71-74

7 Fritz Wetzel: Der gelehrte Bauer von Rothenacker, in: Oberland – Blätter für Volkstum und Heimatkunde, Schleiz (Oberlandhefte) 1927, Heft 3, S. 37

8 Vgl. Robert Hänsel: Der Gebrauch der Glocken bei Unwettern im <reußischen Vogtlande, in: Vogtländische Heimatblätter, Jg. 17 (1997), Heft 2, S. 11f. Zitate ebenda



Über den Autor
Alexander Blöthner M. A. (phil.), gebürtig in Plothen bei Schleiz, hat an der Universität Jena ein ›Studium Generale‹ mit Schwerpunkt auf Geschichte und Soziologie absolviert und verfasst Bücher über Lebensphilosophie, Sagen, Orts- und Regionalgeschichte, Landschaftsmythologie als auch Alltags-, Sozial- und Wirtschaftsgeschichte. Autorenwebseite: Sagenhafte Wanderungen

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